PR TB 113 Die Söhne Sols
niemand ist in seinem Zimmer."
Flahavan hatte einen Kloß in der Kehle, der trotz
mehrmaligen Schluckens nicht verschwinden wollte. Er ergriff Seglinja
an der Hand und führte sie ins Schlafzimmer.
„Er spricht im Schlaf. Ich habe es bereits vor ein paar
Tagen festgestellt."
Sie schluchzte.
„Aber er spricht so... so deutlich. Als wäre er
hellwach. Und er beschreibt alle Dinge, die zum Haus gehören."
„Seine Angaben sind wesentlich präziser geworden. Er
geht jetzt ins Detail. Beim erstenmal sprach er von den größeren
Dingen."
„Ich werde den Arzt rufen!" sagte sie entschieden.
„Nein!" widersprach Flahavan. „Ich glaube nicht,
daß er krank ist. Es ist etwas anderes. Wir müssen Geduld
haben. Vielleicht geht es vorüber. Der Arzt hat gesagt, daß
Kaleb sehr sensibel ist. Es kann sein, daß er sich auf diese
Weise abreagiert."
Er merkte, daß er sie nicht überzeugen konnte.
„Wir werden morgen noch einmal darüber sprechen",
sagte er.
An diesem Abend schlief er sehr spät ein. Er ertappte sich
dabei, daß er immer wieder angestrengt lauschte, ob Kaleb noch
sprach. Aber den Rest der Nacht blieb es ruhig.
Am nächsten Morgen sprach er mit Kaleb.
„Ich kann mich an nichts erinnern", sagte der Junge.
„Ich weiß nicht, ob ich geträumt habe."
„Er sagt die Wahrheit", erklärte Seglinja. „Ich
merke genau, wann er lügt."
„Hast du irgendwo Schmerzen?" fragte Flahavan ratlos.
„Fühlst du dich anders als früher?"
„Nein."
Flahavan überlegte, ob er sich wegen des Kindes ein paar Tage
Urlaub nehmen sollte, aber Seglinja meinte, daß sie mit allen
Problemen fertig werden könnte. Die große Werbeagentur,
für die er arbeitete, besaß einen eigenen
Betriebspsychologen. Flahavan ließ sich bei ihm anmelden.
„Ich komme nicht meinetwegen", erklärte er dem
Mann. „Das Problem ist mein Sohn."
„Damit ist es auch Ihr Problem!" erwiderte Dr. Larvus.
Er war ein hagerer Mann mit einem Kahlkopf und großen,
unschuldig blickenden Augen. Manchmal sah es aus, als würde er
ein bißchen schielen.
„Kinder träumen häufiger als Erwachsene",
sagte der Psychologe, nachdem Flahavan ihm von den Vorfällen
berichtet hatte.
„Sie haben viel mehr zu verarbeiten als wir. Der Fall Ihres
Sohnes ist jedoch ungewöhnlich. Ich habe noch nie davon gehört,
daß jemand so deutlich und lange im Schlaf spricht."
Er sah Flahavan prüfend an.
„Kann es sein, daß der Junge sich einen Scherz
erlaubt?"
„Bestimmt nicht!"
„Ich weiß nicht, was ich Ihnen raten soll",
gestand der Psychologe.
„Es ist tatsächlich ein ungewöhnlicher Fall. An
Ihrer Stelle würde ich das Kind in psychiatrische Behandlung
geben."
Im Grunde genommen war Flahavan nach diesem Gespräch nicht
klüger als zuvor. Er ließ sich von Dr. Larvus die Adresse
eines Psychiaters geben. Den ganzen Tag über arbeitete er
unkonzentriert. Es unterliefen ihm Fehler, wie er sie normalerweise
niemals beging.
Nach der Mittagspause rief er zu Hause an.
„Ich habe mit Dr. Larvus gesprochen", berichtete er
Seglinja.
„Er empfiehlt uns, den Jungen in psychiatrische Behandlung
zu geben, und hat mir gleich die Adresse eines guten Arztes
aufgeschrieben."
„Das ist sicher vernünftig. Oh, Ken! Ich mache mir
große Sorgen um Kaleb."
„Unsinn!" protestierte er. „Du siehst doch, daß
er nicht krank ist."
„Trotzdem habe ich Angst."
Er versuchte sie zu trösten, obwohl er sich insgeheim
eingestand, daß er ebenfalls Angst hatte. Es war ein
unerklärliches Gefühl. Wenn er den Jungen im Schlaf reden
hörte, fühlte er sich als Randfigur eines unheimlichen
Ereignisses. Es war, als würde man ihn von geheimnisvollen
kultischen Handlungen ausschließen. Wenn Kaleb im Schlaf
redete, war er ein Fremder. Das ließ sich nicht mit Worten
erklären. Seglinja schien es genauso zu gehen.
Als Flahavan nach Hause kam, saß Kaleb im Wohnzimmer und las
in einem Buch.
„Heute hat er einen sehr ruhigen Eindruck gemacht",
sagte Seglinja, als ihr Mann mit ihr allein war. „Ich hoffe,
daß alles vorbei ist."
An diesem Abend wurde Kaleb eine Stunde später als üblich
ins Bett geschickt. Flahavan erhob keinen Einwand dagegen, denn er
kannte Seglinjas Gründe genau. Sie fürchtete eine
Wiederholung des Ereignisses vom vergangenen Abend.
Kaleb schlief schnell ein. Nachdem er fast eine Stunde lauschend
im Korridor gewartet hatte, ging Flahavan beruhigt nach unten.
„Er ist ruhig", sagte er. „Es scheint tatsächlich
vorüber zu sein."
Seine innere Unruhe
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