PR TB 113 Die Söhne Sols
legte sich jedoch nicht. Die Ruhe erschien ihm
trügerisch.
Düstere Vorahnungen bedrückten ihn.
Immer wieder erschien das Bild des Jungen in seinen Gedanken.
Kaleb war neun Jahre alt. Er wirkte ein bißchen plump. Mit
seinem pausbäckigen Gesicht und den hellblauen Augen sah er
verschüchtert aus. Flahavan hatte sich oft gewundert, daß
ihm der Junge so wenig ähnlich sah. Flahavan war groß und
grobknochig, nur die dünnen blonden Haare besaßen der
Junge und er gemeinsam. Kaleb hatte die Augen Seglinjas.
Oben ging die Tür zum Kinderzimmer.
Flahavan zuckte zusammen. Seine Blicke trafen sich mit denen
seiner Frau. Er hörte das Tappen nackter Kinderfüße
auf der Treppe. Wie erstarrt saß er im Sessel. Auch Seglinja
rührte sich nicht. Flahavan hatte das Gefühl, von einer
ungeheuren Last erdrückt zu werden.
Dann öffnete Kaleb die Tür zum Wohnzimmer.
Er sah in seinem verwaschenen Schlafanzug ein bißchen
verloren aus.
„Er ist jetzt da, Pa", sagte Kaleb. „Er hat es
geschafft."
*
Die Stille dehnte sich aus, sie wuchs über den Raum hinaus
und schien schließlich das Haus, die Stadt, ja die gesamte Welt
einzuhüllen. In dieser Stille klangen Kalebs Worte unhörbar
nach, es waren Schwingungen, die Flahavan bis in sein Innerstes
erschütterten. Seine Blicke waren auf diesen einen Punkt
fixiert, der sein Sohn war, aber in dem er in dieser Minute nichts
Vertrautes erkennen konnte.
„Wovon redest du?" brachte Flahavan schließlich
hervor.
„Von Mr. Peter!"
Flahavan hatte das beängstigende Gefühl, die Grenze von
Realität und Wahnsinn erreicht zu haben. Die Ruhe und
Zufriedenheit, die der Junge ausstrahlte, wirkte aus irgendeinem
Grund unnatürlich.
„Wer ist Mr. Peter?" fragte Flahavan.
Kaleb lächelte ihm zu.
„Komm mit nach oben und sieh ihn dir an!" forderte er
seinen Vater auf.
Er setzte sich in Bewegung.
„Bleib hier!" rief Seglinja.
Doch Flahavan hatte seine Entscheidung getroffen. Er war an einem
Punkt angelangt, wo er nicht mehr zurück konnte. Dabei hatte er
keinen Augenblick das Gefühl, daß er es war, der das Tempo
der Entwicklung bestimmte, vielmehr hielt er sich für das Opfer
einer übergeordneten Macht.
Er sah noch einmal zu seiner Frau um.
„Du wartest hier!"
Er zog den Kopf zwischen die Schultern und trat auf den Korridor
hinaus. Kaleb hatte das Licht eingeschaltet. Die Treppe, die nach
oben führte, schien im Nichts zu enden. Es war, als hätte
jemand das Haus in zwei Hälften zerschnitten, von denen nur die
untere ein vernünftiges Leben garantieren konnte.
Flahavan stieg die Treppe hinauf, die sich scheinbar endlos vor
ihm ausdehnte. Aber er schritt weder in eine dunkle Wolke hinein,
noch wurde er von schleimigen Tentakeln berührt. Was immer er
sich in seinen Visionen ausgemalt hatte, traf nicht ein.
Kaleb stieß die Tür zu seinem Zimmer auf und deutete
auf etwas, was Flahavan noch nicht sehen konnte.
„Das ist Mr. Peter!"
Das trügerische Gefühl, daß er nur umzukehren
brauchte, um alles ungeschehen zu machen, ließ Flahavan nicht
los. Solange er nicht mit eigenen Augen sah, was sich da in Kalebs
Zimmer befand, brauchte er nicht an die Existenz dieses Dinges zu
glauben.
Unwillkürlich blieb Flahavan stehen.
„Kommst du?" drängte Kaleb.
Flahavan tat den entscheidenden Schritt. Er starrte in das Zimmer.
Auf Kalebs Bett lag eine meterdicke Pelzkugel, die in der Mitte
ihres Körpers ein pulsierendes Organ besaß. Der Pelz war
violett, das Organ leuchtete rötlich.
Kaleb näherte sich dem Gebilde und berührte es.
Flahavan erstarrte. Jede Bewegung Kalebs schien in Flahavans
Gehirn ganze Serien heftiger Explosionen auszulösen.
„Er ist zart und sehr warm!" stellte Kaleb fest. „Er
hat es gern, wenn man ihn streichelt."
Die Pelzkugel begann wie eine Katze zu schnurren. Das Pulsieren
des rötlich leuchtenden Organs dehnte sich auf den ganzen Körper
aus. Mr. Peter begann sich in rhythmischen Abständen
zusammenzuziehen und wieder auszudehnen. Dabei erreichte er
abwechselnd die Größe eines Fußballs und eines
Wetterballons.
„Er muß weg!" hörte Flahavan sich sagen.
„Ma wird niemals dulden, daß so etwas in unserem Haus
bleibt."
Er grinste verlegen, als er begriff, wie irrational seine Worte
waren.
Dieses Ding war schließlich kein Goldhamster und keine weiße
Maus.
Ich mache bestimmt keine Schwierigkeiten, sagte eine Stimme direkt
in seinem Gehirn.
Flahavan wurde blaß. Seine Augen weiteten sich.
Ich bin gekommen, um einen Freund zu
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