PR TB 134 Das Parachron Attentat
einer zu lachen. Andere fielen ein. Sie blickten
auf den Bewußtlosen, der in grotesker Haltung auf dem Boden
lag, und lachten.
Julian atmete auf. Sie kannten weder Freud, noch Leid, weder
Liebe, noch Haß. Gewalt, vor allen Dingen körperliche
Gewalt, war für sie ein fremdes Phänomen; sie wußten
nichts damit anzufangen. Da blieb ihnen nur noch die Komik des
Augenblicks, und sie lachten.
»Nun?« herrschte er sie an. »Habe ich das Recht,
auf dieser Seite zu gehen, oder habe ich es nicht?«
»Du hast es, Freund«, murmelten mehrere.
»Aber das ist nicht alles«, sagte er. »Ihr habt
es auch! Wer will euch gebieten, daß ihr nur auf dieser Seite
aus der Stadt und nur auf der anderen in die Stadt gehen könnt?
Hat man euch darüber gefragt? Hat man euer Einvernehmen
erzielt?«
»Man hat uns nicht gefragt!« krähte eine helle
Stimme aus dem Hintergrund. »Man hat sich niemals um unser
Einvernehmen gekümmert.«
Zustimmendes Gemurmel brandete auf.
»Dann schlage ich vor«, rief Julian, »daß
wir ihnen endlich einmal zeigen, was in uns steckt! Ich gehe mit
euch. Der Teufel soll heute meine Arbeit holen. Aber wir gehen
nicht auf dieser Straßenseite. Wir gehen auf der anderen!«
Beifallsrufe wurden laut. Augen blitzten, Fäuste wurden
geschwungen. Julian wandte sich um und marschierte in Richtung der
Unterführung zurück. Er brauchte sich nicht umzusehen, um
zu wissen, daß wenigstens einhundert Menschen ihm folgten. Sie
unter -querten die Straße. Auf der anderen Seite stemmte sich
die Gruppe der Entschlossenen dem einwärts flutenden Strom
entgegen und brachte ihn völlig durcheinander.
Plötzlich blieb Julian stehen.
»Oder vielleicht wissen wir noch etwas Besseres!« rief
er. »Wir alle sind bisher bedenkenlos den Spruchbändern
gefolgt. Für die Spruchbänder, die Transparente und die
Leuchtschriften ist das Ministerium für Volkserziehung
verantwortlich. Warum gehen wir nicht dorthin und klären die
Leute über unsere Belange auf?«
»Ja,ja!« rief die Menge begeistert. »Wir gehen
zum Ministerium für Volkserziehung!«
Damit war die Arbeit getan. Julian brauchte sich nur noch von der
Menge mitspülen zu lassen. Viele von denen, die ursprünglich
auf dieser Seite der Straße stadteinwärts gegangen waren,
um ihren Arbeitsplatz zu erreichen, wandten sich um und schlössen
sich den Protestierenden zu. Plötzlich war die Straße
erfüllt vom Gewirr menschlicher Stimmen. Es gab etwas, worüber
die Leute miteinander reden konnten. Sie diskutierten nicht. Das
Einvernehmen war schon hergestellt. Sie malten einer dem ändern
aus, wie es sein würde, wenn das Ministerium für
Volkserziehung endlich darauf verzichtete, sie durch Spruchbänder
und Transparente zu manipulieren.
Die Menge bog schließlich in eine Seitenstraße ab. Das
riesige Gebäude des Ministeriums für Volkserziehung tauchte
auf. Die Bürozeit hatte dort noch nicht begonnen. Die Hallen und
Gänge waren leer bis auf ein paar Ordnungsbeamte und einige
Angestellte, die zu früh gekommen waren. Die Menge verwickelte
sie in eine Diskussion. Höflich, jedoch bestimmt wurden die
Beamten darauf aufmerksam gemacht, daß man es satt habe, sich
am Gängelband führen zu lassen. Im Laufe dieser Diskussion
fiel zum erstenmal das Wort »Revolution«. Es wurde von
anderen aufgenommen und verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Die
Protestierer begannen, sich als Revolutionäre zu fühlen.
Inzwischen war Julians Gefolgschaft, die eigentlich nicht mehr
seine Gefolgschaft war, sondern aus eigener Kraft tätig war, auf
mehr als tausend Köpfe angeschwollen. Die Leute verteilten sich
auf die einzelnen Büros, um dort weiter zu diskutieren, ihre
Parolen an den Mann zu bringen oder die Apparate zu besetzen, von
denen aus die Transparente mit den Leuchtschriften gesteuert wurden.
Es gab einen Raum im dritten Stock des Ministeriums für
Volkserziehung, in dem über
zweihundert Konsolen standen, von denen jede über einen
Großcomputers mit einem der Leuchtschrifttransparente in der
Stadt verbunden war.
Unter den Revolutionären befanden sich einige, die zum Stab
des Minsteriums gehörten und sich hier auskannten. Mit
Begeisterung ergriffen die Leute die Gelegenheit, ihre Ideen einer
breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen. Etwa zu diesem Zeitpunkt
trennte sich Julian Tifflor von den Aufständischen, um zum
Ministerialamt für Soziales zurückzukehren. Er hatte getan,
was er sich zu tun vorgenommen hatte. Er hatte die Stadt in Aufruhr
versetzt. Wenn es den Behörden
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