PR TB 156 Der Löwe Von Akkad
Kar-shattar.
Eine eigentümliche Faszination ging schon beim ersten Blick
von ihm aus. Er war einfach, aber mit bestechend lässigem Prunk
gekleidet und ausgerüstet. Seine schwarzen Augen schienen von
innen heraus zu strahlen. Sie bohrten sich förmlich ins Gesicht
meiner Gefährtin. Ich spürte den weißglühenden
Stich der Eifersucht. Wieder geriet der vorderste Teil unserer
Karawane ins Stocken. Eine Art stummes Duell begann. Zwischen den
Eckpunkten eines Vierecks baute sich eine schweigende, aber
eindeutige Spannung auf. Wir begannen zu verstehen, was sich hier
vorbereitete. Ich stand voll im Bann der Blicke, und langsam ritt
Rhai-ghur an meine Seite heran.
Der schweigende, stolze Mann im Wagen war auf keinen Fall älter
als vierzig Sommer. Er hatte mittellanges, sorgfältig
gekräuseltes Haar, schwarz, das nun von Staub und Schweiß
gefleckt war. Darunter ein längliches, braungebranntes Gesicht
mit einer kühnen, scharfrückigen Adlernase. Von den
Schläfen zog sich ein gelockter schwarzer Bart hin, etwa einen
halben Finger lang. Um die Stirn trug er ein breites, mit gehämmerten
Blattomamenten verziertes Band aus Elektrum und feinstem Leder.
Kar-shattar verhielt sich im Augenblick völlig passiv. Ihr Wille
lag eindeutig in der Hand oder in den Augen dieses Mannes, der etwas
unzweifelhaft Königliches an sich hatte. Die Blicke Rhai-ghurs
und meine eigenen gingen wie das Gewicht eines Pendels zwischen dem
schweigenden Mann mit den hypnotischen Augen und Kar-shattar hin und
her. Endlich öffnete dieser schweigende Fremde den Mund und
zeigte uns regelmäßige, weiße Zähne.
„Ich bin Sharrukin, der Herr von Akkad, der Geliebte der
Göttin Ishtar." Seine Stimme war dunkel, klar und präzise
wie eine Maschine.
Nur wir vier Personen standen in dem starken Bann. Jeder von uns
war auf schwer beschreibbare Weise etwas Besonders. Kar-shattar, ich,
Rhai-ghur und Sharrukin. Die junge Frau mit dem halblangen, fast
blauschwarzen Haar hielt den Hengst an und warf einem Viehtreiber die
Zügel zu. Dann schwang sie sich mit einem leichten, federnden
Satz zu Boden. Von den Wagen her starrten die Sklaven auf das
seltsame Bild. Träge senkten die Zugochsen und die Halbesel die
staubigen Köpfe.
„Ich bin mehr als vierzig Sommer alt!" sagte Sharrukin
halblaut und sah nur Kar-shattar an. Sie ging langsam auf ihn zu.
„Ich habe unzählige Frauen besessen. Ich habe immer nach
einer Frau gesucht, die so ist wie du. Komm."
Dann blickte er mich an. Ich versuchte, mich zusammenzunehmen.
Zuviel drang auf uns ein in dieser kurzen Zeit, ohne daß wir
uns wehren konnten.
„Halte an dich, Attalan-shar!" murmelte Rhai-ghur, ohne
die Lippen auffällig zu bewegen. „Er ist der König.
Ein Wort von ihm vernichtet dich."
Und euch alle, sagte die Stimme in meinem Innern. Der Herrscher
ist ein Despot!
Aus dem Augenwinkel erkannte ich, wie Kar-shattar, die
leidenschaftliche Gefährtin meiner letzten Tage neben dem
Jagdwagen des Königs stehenblieb und voll in mein Gesicht
blickte. Sharrukin und ich sahen uns noch immer an - der König
schien ebenfalls zu begreifen, was sein Befehl ausgelöst hatte.
Unsere Augen bohrten sich ineinander und fochten ein stummes Duell
aus. In diesen Augenblicken, die sich ins Unendliche zu dehnen
schienen, wurde mir eines klar: auch Sharrukin, König oder
nicht, war fremd und paßte mit seiner Persönlichkeit
ebenso wenig in die Landschaft wie wir drei Fremden. Sharrukin nahm
die Finger Kar-shattars in seine Hand und sagte:
„Du bist die schönste Frau meines Landes. Ich werde
dich zur mächtigsten Frau des Königreichs machen."
Er zog sie zu sich in den Wagen. Auf ein Kommando schwang der
Lenker die Peitsche.
Der Jagdwagen und die anderen Fahrzeuge drehten auf der Stelle und
setzten sich rasselnd in Bewegung.
Kar-shattar drehte sich um, während der Wagen des Königs
als letztes der Gespanne davonfiihr, auf die Stadt Esch-nunna mit
ihren schrägen weißen Mauern zu. Sie sah mich an. Der
Blick hatte eine ganze Skala verschiedener Bedeutungen; ihr
Gesichtsausdruck zeigte es
deutlich. Sie war ratlos, überwältigt, unsicher und
schutzbedürftig. Und darüberhinaus war sie verwirrt und
ohne Identität. Ihr langer Blick war ein Abschied von mir - ein
Abschied für immer, wie ich zu wissen glaubte.
„Hinter uns her! Wir zeigen euch den Weg!" rief ein
Krieger der Eskorte, dann galoppierten die Zugtiere los, und die
Wagen verschwanden in der hochgerissenen Staubwolke.
Und plötzlich geschah es. Es war wie
Weitere Kostenlose Bücher