PR TB 156 Der Löwe Von Akkad
waren
Nachkommen der Völker aus den Wüsten, die seit
Jahrhunderten in das Land der sumerirschen Rundschädel
eingesickert waren - sie wußten, wie man sich verbarg, wie man
wartete und dann zuschlug.
Die Prunkstraße, breiter als die im prächtigen Ur,
wurde gepflastert. Jeder Stein hatte eine weite Reise hinter sich und
kam aus den örtlichen Bergen. Wir pflanzten dreifache Reihen von
Bäumen, die mit Gespannen von weither geholt wurden. Wir
mischten den Sand mit herbeigetragenem Erdreich und düngten ihn
mit Abfallen. Wir planten in großen Dimensionen. Langsam
wuchsen die Hügel entlang der Mauern. Teile des Walles waren
fertig, und der Ring aus kleinen Wohnhäusern, Werkstätten,
Schänken und Plätzen, Brunnen und Bäumen dehnte sich
aus. Rhai-ghur war stets an meiner Seite. Ihm würde die Aufgabe
zufallen, zu vollenden, was ich begonnen hatte.
Er begriff schnell. Er war weitaus klüger als jeder andere
Mensch in diesem Reich. Den Akkadem schien es, als habe er magische
Fähigkeiten. Die Tatsache, daß er gerecht war, jedermanns
Freund sein konnte und keinerlei Ausschweifungen duldete, machte ihn
beliebt.
Der nächste Besuch des Königs im beginnenden Herbst
stand bevor.
Und die Nächte gehörten Encheduana. Sie schien von Tag
zu Tag schöner zu werden.
Jedenfalls fand sie im Lauf des Sommers zu eigener
Selbstsicherheit. Sie war auf dem Weg, sich selbst zu erkennen und
ihre Position in dieser Welt bestimmen zu können.
Irgendeine Nacht: Ich war allein. Ich saß vor der riesigen
Platte aus geschliffenem Holz, mit nahtlosem Leder beklebt. Pläne,
Teilmodelle, fünf Öllampen, Griffel, ein Stapel
zurechtgeschnittenes Pergament, verschiedener Farben, Pinsel aus
gefaserten Binsen, ein Weinkrug und Becher waren wahllos auf der
Platte verstreut. Die Fensteröffnung war leer; ich sah über
die Terrasse, vorbei an den schwarzen Baumstämmen, über die
Rasenflächen, hinüber zur wachsenden Stadt. Sie lag da; ein
unfertiger Organismus.
Ich wußte: ES hatte mich aus meinem Tiefschlaf gerissen. Ich
wußte nicht, wie oft. Ich wußte nur, daß ich an
allen möglichen Stellen des Planeten offensichtlich wichtige
Dinge vollbracht hatte. Ich war eine wichtige Marionette dieser
mächtigen Kollektivintelligenz. Ich sollte Sharrukin bewachen
und ihn töten, falls er irrsinnig wurde und seinen Weg mit
Leichen pflasterte. Dies warf eine Frage auf, die ich noch nicht
beantworten konnte: Wie sehr war Sharrukin ein Mensch dieses Landes,
wie hoch war sein Anteil, der unter dem Begriff Androide lief? Eine
höchst vage Erinnerung sagte mir, daß er nicht der erste
dieser Art auf Larsaf Drei war...
Ich ahnte: Er war ein Flüchtling von Wanderer, ein
Flüchtender ganz besonderer Art. In jedem, der ihm in der Masse
der Kenntnisse und des Wissens ähnelte, mußte er seinen
Verfolger und Henker wittern. Hatte etwa er den Mann mit der Narbe
hinter mir hergejagt, um mich zu beobachten? Bisher gab es keinen
Grund für mich, einzuschreiten - Sharrukin verhielt sich
vernünftig.
Also würde ich ihm weiterhin helfen. Was ich vom Reich Akkade
gesehen hatte, war durchaus positiv. Es wurde niemand gequält.
Kunst, Handel und Landwirtschaft blühten. Kaum einer der
Einwohner wurde versklavt: die Sklaven kamen im Gefolge der Kriege
oder Schlachten. Dies konnte ich nicht ändern; ich hätte
leichter eine der vernichtenden Überschwemmungen aufhalten
können. Ich würde also versuchen, den Zug gegen die
räuberischen Nomaden um Ebla vorzubereiten. Schneller Sieg,
wenige Grausamkeiten, keine Schlächterei. Ich würde für
diesen einsamen Marsch meine Löwin brauchen, aber Sherengi war
irgendwo...
Wo blieb Sharrukin? Rhai-ghur war in seinen Räumen und
widmete sich der Tänzerin, die ihm seine Gunst abgerungen hatte,
wie ich wußte. Encheduana schlief wohl schon. Ich war allein,
aber einsam. Ich war auf alles vorbereitet.
Die Flammen zitterten. Der zurückgeschlagene Vorhang blähte
sich im Zugwind auf. Schritte waren irgendwo im Haus zu hören,
und Stimmengewirr schlug an mein Ohr. Ich tauchte aus dem Strudel
meiner Überlegungen hervor und stand auf, drehte den Sessel und
lehnte mich gegen die Kante der Arbeitsplatte. Immer befand sich mein
Dolch in der Nähe, der getarnte Strahler.
Zuerst kam Sharrukin herein. Er war nicht allein. Ich stand auf
und sah hinter ihm seinen älteren Sohn Rimush. Als nächster
kam Rhai-ghur, der Encheduana an der Hand führte.
„Der Abend sei gesegnet", sagte ich und rückte die
restlichen Sessel zu einem Kreis
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