PR TB 156 Der Löwe Von Akkad
Hände aus und legte meine Finger
an ihre Wangen, streichelte mit den Fingerspitzen ihre Schläfen.
Ihr Gesicht war heiß und trocken, wie im Fieber.
„Mädchen!" flüsterte ich. „Du bist
Sharrukins Tochter! Vergiß es nicht!"
„Du hast gehört, was er sagt. Frauen gelten ihm nichts.
Nur diese Frau, die du mitgebracht hast... er liebt sie wie ein
Rasender. Hörst du sie alle? Seine schwitzenden Helden. Tagsüber
liegen sie unter Steinen wie Gewürm. Sie kommen erst in der
Dunkelheit hervorgekrochen." „Du meinst, daß es
Sharrukin gleichgültig ist, wenn sich seine Tochter einem
Fremden anbietet?"
Sie zuckte zusammen und betrachtete mich aus aufgerissenen Augen.
Jetzt sah ich es deutlicher. Sie konnte die zwanzig Sommer noch nicht
überschritten haben.
Aber ihr Geist war derjenige einer Vierzigjährigen.
„Du Narr!" flüsterte sie gequält. „Er
liebt niemanden. Nicht einmal sich selbst. Er ist ruhelos, gehetzt
und getrieben von den Alpträumen. Er betet dich förmlich
an! Du könntest alles haben, wenn du ihn bittest. Und zugleich
ist er mißtrauisch, denn zu viele betrogen ihn. Er glaubt an
dich. Aber er hat seine Spione überall. Du hast allen
standgehalten. Du bist der verständige, ältere Bruder, den
er niemals hatte. Er erzählt niemals etwas aus seiner Jugend. Er
wird sich freuen, wenn ich dich glücklich mache! Dann hat dich
eine neue Fessel an ihn gebunden."
Ich wollte antworten, aber sie legte ihre Finger an meine Lippen,
lächelte und schloß:
„Ich weiß. Du wolltest sagen, daß niemand dich
fesseln kann.
Du bist wie der Adler der Zagrosberge!"
„Genau dies wollte ich sagen!" erklärte ich und
ließ mich nach hinten fallen. Dies war die Nacht der großen
Überraschungen. Ich hatte noch die Wahl. Ab einem bestimmten
Punkt konnte ich nicht mehr zurück. Ich überlegte kurz und
ging über den Punkt hinaus. Was jetzt passierte - denn Neid,
Mißgunst, Haß und Eifersucht würden sich türmen
-, war mein eigenes Verschulden.
Ich beugte mich vor, zog Encheduana an mich und küßte
sie. Sie war völlig unerfahren. Aber sie begriff und lernte
schnell. Es dauerte lange, bis sich die Zärtlichkeit in
Leidenschaft verwandelte, aber jene Leidenschaft schien mir ganz
anders zu sein als alles, was ich bisher erlebt hatte. Eine Ewigkeit
später, weit nach Mitternacht, als der Schweiß unserer
Körper trocknete, flüsterte Encheduana atemlos:
„Ich brauchte meinen ganzen Mut, um hierher zu kommen."
„Ich wußte es, Encheduana!"
„Wir werden nicht lange Zeit für uns haben, nicht wahr?
Du gehst nach Norden, in die Berge um Ebla?"
„Ich komme zurück", versprach ich. „Du wirst
mich einen Teil der Strecke begleiten. Ich werde überleben. Aber
- es wird einige Monde dauern. Wirst du warten?"
„Ich werde auf dich warten, Attalan-shar. Und Ishtar wird
auf mich warten können. Wir haben viel Zeit."
Jetzt erst spürte ich, daß ich Zärtlichkeit dieser
Art zu lange vermißt hatte. Die kichernden Sklavinnen ... sie
waren nach dem Bruchteil eines Herzschlags vergessen. Wieder strichen
Encheduanas Finger über meine Haut. Es war, als würden zwei
Ertrinkende versuchen, sich gegenseitig zu retten. Dann versanken
unsere Gedanken in der lähmenden Dunkelheit der Nacht. Die
Landschaft ringsum, der Lärm aus dem Zelt, alles wurde von einem
Mahlstrom verschlungen. Es ertrank wie Funken in einer rotierenden
Milchstraße. Ich hielt den warmen Körper des Mädchens
in den Armen und fühlte mich als Teil dieses Planeten, als
Bestandteil dieser barbarischen, herrlichen, grausamen und wild
pulsierenden Welt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals glücklicher
eingeschlafen zu sein.
Stunde um Stunde, Tag um Tag: langsam wuchs die Stadt Akkade. Ich
bereitete meine nächste Maske vor:
Spion des Königs.
Ein ungeheures Netzwerk verschiedener Pläne, Anordnungen und
Befehle wurde von den Heerführern und Tanura erstellt. Die
langschädligen, schwarzbärtigen Berater des Königs und
Rhai-ghur entwickelten die Planung, denn Sharrukin wollte einen
kurzen Kampf und einen vollkommenen Sieg.
Boten mit dem königlichen Siegel rasten auf scheuenden
Gespannen davon, in alle Richtungen. Entlang des Flusses wurden
Stationen eingerichtet. Die besten und verschwiegensten Soldaten
wurden ausgesucht und ausgerüstet. An rund fünfzig Punkten
einer gekurvten Linie, die nach Nordost deutete, versammelten sich
schweigende Männer, die sich im Land versteckten. Jeder von
ihnen wußte ganz genau, was er zu tun hatte. Es
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