PR TB 158 Die Frauen Von Avalian
Stunden später kamen die fünf Frauen zurück,
um Elaine und mich zu holen. Der Himmel hatte sich bewölkt, und
es war etwas kühler geworden. Sie trugen nun unifarbige Umhänge,
die ihre weiblichen Formen weitgehend verhüllten.
„Die Häuser sind bereit", erklärte die
dunkelhaarige Schönheit. Sie neigte den Kopf vor Elaine und
ergänzte: „Ich bin Doyana, die über das blaue Auge
wacht."
„Ich bin entzückt", sagte ich.
Doyana blickte mich scheu an und wandte sich ab. Die anderen
Frauen wichen zur Seite und gaben uns den Weg frei. Neben Elaine
verließ ich den Tempel.
„Benimm dich", flüsterte sie mir erregt zu. „Dies
sind keine Primitiven. Wenn sie merken, daß wir keine Götter
oder so etwas Ähnliches sind, geht es uns an den Kragen."
„Es sind Frauen", erwiderte ich amüsiert. „Du
brauchst dir keine Sorgen zu machen. Hier kann uns nichts passieren."
Ihr Gesicht verschloß sich. Ärgerlich preßte sie
die Lippen zusammen und ging etwas schneller, um Abstand von mir zu
gewinnen. Ich blieb ruhig und schritt langsam die Treppe hinunter auf
die Menge zu. Elaine täuschte sich, wenn sie glaubte, daß
ich mir der Gefahr nicht bewußt war. Ich war wachsam. Jede sich
mir bietende Chance würde ich wahmehmen, diese Welt zu
verlassen, auch wenn der Verzicht noch so groß war.
Allerdings hoffte ich, daß die erste Chance noch ein wenig
auf sich warten lassen würde.
Die Menge begann zu schreien. Die Frauen jubelten. Ich sah
lachende, verzückte Gesichter. Viele Frauen und Mädchen
warfen Blumen auf uns. Einige kräftig gebaute Frauen bahnten uns
eine Gasse zu zwei etwa zwanzig Meter hohen Zuckerhuthäusem, mit
blauen, spiegelnden Platten belegt waren. Üppig grünende
und blühende Bäume bildeten einen Garten, der die Häuser
umschloß. Mir fiel auf, daß die Zuschauer trotz ihrer
Erregung peinlich genau darauf achteten, daß keine der
Zierpflanzen beschädigt wurden.
Und noch etwas anderes fiel mir auf. Fast alle Mädchen und
Frauen, ganz gleich wie alt sie waren, sahen schön aus. Ich sah
nicht eine einzige Frau, die häßlich gewesen wäre.
Selbst jene schwergewichtigen Ordnungshüter besaßen noch
eine durchaus ansprechende Ausstrahlung.
Männer entdeckte ich überhaupt nicht.
Doyana begleitete mich in das für mich vorgesehene Haus. Die
anderen vier Frauen blieben bei Elaine. Kurz bevor ich durch den
Torbogen eintrat, blickte ich zu Elaine hinüber. Ich lächelte
siegessicher, denn ich zog meine besonderen Schlüsse aus der
Tatsache, daß die oberste Priesterin von Avalian bei mir blieb.
Elaine warf den Kopf in den Nacken und tat, als habe sie mich nicht
gesehen.
Ich lachte still in mich hinein. Ich war entschlossen, meinen
Triumph auszukosten.
Lächelnd streckte ich die Hand aus, doch Doyana übersah
die Geste. Ein wenig enttäuscht zog ich die Hand zurück,
doch dann sagte ich mir, daß sie vielleicht gar nicht wußte,
was ich gemeint hatte.
Sie führte mich in einen großen lichten Raum, der mit
kunstvoll gefertigten Teppichen ausgelegt war. Die Sitz- und
Liegemöbel hatten eine eigenwillige, aber ansprechende Form. An
der Decke leuchteten farbige, abstrakte Bilder, die ständig in
Bewegung waren, so daß laufend neue Formen, Farben und
Strukturen entstanden.
Doch für diese sonst interessanten Dinge hatte ich keinen
Blick übrig.
Mich interessierte nur das jämmerliche Wesen, das auf dem
Boden herum kroch und hier und da ein paar Wollfäden aufhahm.
Zunächst dachte ich, es wäre ein mißgestaltes Kind.
Es hatte einen abstoßend gewachsenen Körper, sah völlig
unterernährt aus und schien nicht in der Lage zu sein, sich
aufrecht zu bewegen. Der kleine Kopf war völlig kahl.
Doyana rief einen Befehl. Ihre Stimme klang schneidend und scharf.
Das Wesen auf dem Fußboden zuckte heftig zusammen, richtete
sich halb auf und blickte mich an. Es hatte ein altes, zerfurchtes
Gesicht mit leeren, ausdruckslosen Augen.
Doyana wiederholte den Befehl und zeigte mit ausgestreckter Hand
auf den Ausgang. Halb kriechend, halb hüpfend floh die Kreatur
aus dem Raum.
„Verzeih, Meister", sagte Doyana mit weicher,
einschmeichelnder Stimme. „Ich wußte nicht, daß es
noch hier war. Es hatte den Auftrag, sich zeitig zu entfernen."
„Das macht nichts", antwortete ich großzügig.
Ich legte Doyana die Hände an die Oberarme und blickte ihr in
die Augen. Sie atmete schneller, wie mir schien. Der Umhang rutschte
von ihren Schultern, und ich sah, daß sie darunter noch weniger
trug als zuvor.
Sanft
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