PR TB 217 Das Mittelmeer Inferno
Gäste. Ich
prägte sie mir ein, und keines davon würde ich je wirklich
vergessen.
Die Gesichter waren nicht mehr diejenigen unkultivierter Barbaren.
Tatsächlich gehörten sie zu denkenden Individuen, die
gelernt hatten, daß sie Teil eines Kosmos waren, der von
höheren Prinzipien gelenkt und geleitet wurde, den sie aber
durch ihr vernunftgesteuertes Verhalten in engem Rahmen beeinflussen
konnten.
„Wie lange bleibt ihr in Knossos? Sagte das Orakel etwas
darüber aus?" war eine der vielen Fragen. Nestor hatte
bisher geschwiegen und sich im Hintergrund gehalten. Zwischen Ptah
und mir saß Hilaeira und dirigierte mit knappen Handbewegungen
und leisen Befehlen die Diener und Dienerinnen. Ihr Blick war ebenso
schnell und wach wie Ptahs Augen. Ab und zu wechselten die beiden
einige Worte, und sie schaute länger in sein Gesicht, als es
notwendig gewesen wäre. Hin und wieder berührten sich ihre
Hände.
„In wenigen Tagen segeln und rudern wir mit der CHARIS
davon", sagte ich.
„Jetzt, bei Beginn der winterlichen Stürme?"
„Wir haben keine Wahl", erklärte Ptah. „Wir
müssen unsere Vorbestimmung erfüllen."
Die vielen Eindrücke und lange Gespräche, die sich bis
tief in die Nacht hinzogen, ließen uns müde werden.
Zusammen mit Hilaeira verabschiedeten wir die Gäste an der
wuchtigen Pforte. Die hellen Sterne und eine breitere Mondsichel
funkelten über uns, als wir allein zurückblieben.
„Bei den ewigen Sternen", sagte die junge Frau, und ich
bemerkte, daß ihre Finger in der Hand Ptahs lagen, „ein
solches Paar von Gästen hat ein Haus noch niemals gesehen."
„Ich kann dir besonders meinen Freund ans Herz legen",
sagte ich in gutmütigem Spott. „Als Gast ist er
unübertroffen. Noch lieber wäre mir gewesen, wenn unter den
Gästen die unvergleichliche Charis gewesen wäre."
„Wenn das Orakel es will, werdet ihr sie noch vor Ausbruch
der Katastrophe treffen", sagte Hilaeira. „Ihr seid müde?"
„Mehr als das", erwiderte ich, nickte ihnen zu und fans
im Wirrwarr der raucherfüllten Korridore meinen Weg in meine
Kammer. Bei weit geöffnetem Laden schlief ich ein, auf die
Geräusche des Hauses lauschend. Irgendwann glaubte ich leises
Gelächter und die Stimmen von Hilaeira und Ptah zu hören,
und später die Laute ihrer Leidenschaft. Aber kurz nach diesen
Eindrücken suchte mich eine Vision heim.
Es war einer jener seltenen Träume, die man nicht sofort nach
dem Erwachen vergaß. Ich war noch am
Mittag des folgenden Tages in der Lage, jede Einzelheit exakt zu
schildern.
Ich träumte: In einem großen Raum, der von vagem
Sternenlicht erfüllt war, standen mehrere Dutzend Menschen. Sie
waren in die Kleidung verschiedener Epochen oder Kulturen gehüllt
und bewegten sich ungeduldig. Ab und zu blitzte das vage Licht auf
schimmernden Waffen oder Schnallen auf.
War es eine riesige Höhle, oder umstanden wuchtige, verzerrt
geformte Felsen die Fläche, auf der wir standen? Murmelnde
Geräusche von leisen Fragen und Antworten, das Plätschern
einer Quelle und die Laute herabfallender Tropfen waren die
Geräuschkulisse. Ich sah Frauen und Männer unter den
Wartenden, junge Menschen und ältere. Ein Windstoß fuhr
durch die Öffnungen in den Felsen, die wie Löcher in
Totenschädeln aussahen. Mein Extrasinn flüsterte:
Du wartest mit allen anderen auf den Spruch des Orakels!
Als ich mich umdrehte und versuchen wollte, zu erkennen, wer diese
ruhelosen Geistergestalten waren, brandete dicht über dem Boden
weißlicher Nebel, dick wie Wasser, in die Orakelstätte
herein. Eine Stimme, deren Klang von allen Seiten, aus dem Boden und
aus den riesigen Öffnungen der Decke auf uns hereinschlug, riß
uns in ihren zwingenden Bann. „Ihr seidjene, von denen das
Orakel in alle Städte und Siedlungen getragen werden soll!"
Der Nebel änderte lautlos seine Farbe. Er wurde dunkelrot und
kroch umher wie dampfendes Blut. Ein neuer Schauer fuhr über
meinen Rücken. Der nächste Satz bewies, daß die
Menschengruppe nicht zufällig hier versammelt war. Die
Orakelstimme dröhnte:
„Ihr seid die Boten des Orakels. Ihr habt euch nicht
einzumischen in die vielfältigen Formen der Beziehungen, die
entlang der Ufer bestehen. Ihr seid stark, schnell und klug. Jeder
von euch soll die Regeln der
Gastfreundschaft achten, aber laßt euch nicht zu Werkzeugen
der Könige und Herrscher machen. Geht zu den Menschen, setzt
rücksichtslos eure Macht ein und überzeugt sie alle, daß
die Weltenkatastrophe droht, eine Flut und der
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