PR TB 217 Das Mittelmeer Inferno
erbarmungslose Krachen des
Donners. Der Blitz schien in unserer unmittelbaren Nähe
eingeschlagen zu haben, denn wir rochen die säuerliche Luft nach
der Entladung. Wieder blitzte es, wieder krachten widerhallende
Donnerschläge rund um uns und machten uns taub. Jeder Krach war
von schmerzhafter Lautstärke.
Eine halbe Stunde verging auf diese Weise.
Die CHARIS wich unsichtbaren Hindernissen aus oder schwebte
zwischen Felsen dahin, die wir bestenfalls erahnen konnten. Immer
wieder gab es kurze, blendende Helligkeiten in der Nebelwand, und
dann hämmerten die Donnerschläge auf uns herein, von allen
Seiten, ununterbrochen. Übergangslos schoß das Schiff aus
dem Nebel hervor und ins blendende Licht der untergehenden Sonne
hinein.
Vor uns waren Küsten, pechschwarze Wolken, die bis zum Wasser
herunterhingen, schräge Bahnen prasselnder Regengüsse,
Blitze und Wetterleuchten. Sofort schob sich wieder eine
Gewitterwolke vor die Sonne. Eine aufgewühlte Wasserfläche
erstreckte sich vor uns, ein Hang mit wenigen Häusern, Sturmböen
peitschten das Wasser auf und verwandelten die Spitzen der Wellen in
weißen Schaum. Der Westwind packte das Schiff und schüttelte
es. Aber noch immer schwebten wir über dem Wasser. Gischt hüllte
uns ein und durchnäßte unsere Mäntel vollends.
„Wir sind in der Bucht von Tyrins!" brüllte Nestor
und hob den Kopf über den Bug der CHARIS.
„Kein Zweifel?"
„Nein. Ich erkenne das Heiligtum!"
Hinter dem Schiff war das freie Meer. Der Gewittersturm blies über
die zwei Drittel des
Kreises herab, der uns als Küstenlinie umgab. Trichterförmige
Täler verstärkten die Wirkung der einzelnen Stöße.
Ein Regenschauer prasselte auf uns herunter. Das Schiff drehte sich
und jagte auf den Hafen zu, den wir undeutlich erkannten. Auch ich
sah jetzt zwischen den sturmgebeugten Bäumen die Konturen des
Tempels. Es gab weder ein Leuchtfeuer noch andere Schiffe vor uns.
Wieder schob sich die Sonne zwischen den Wolken hervor. Sie stand
jetzt in unserem Rücken. Übergangslos bildeten sich vor uns
zwei riesige, stechend klare Regenbögen. Als wir merkten, daß
die CHARIS langsam absank und hin und wieder die Kämme der
Wellen berührte, verließ Nestor seinen Platz im Vorschiff,
turnte am Mast vorbei und schrie seine Befehle zu unseren Männern
hinunter.
Perses und Merops sprangen ans Doppelruder.
Die Rah wurde hochgezogen, und schon, als der erste Windstoß
an der Leinwand zerrte, setzte das Schiff ins Wasser ein. Zwischen
Blitzen und Donnern, heulenden Windstößen Und prasselndem
Regen näherten wir uns dem Hafen von Tiryns. Das Schiff
arbeitete schwer in den Wellen, aber die Geschwindigkeit schien nicht
geringer zu werden. Nestors Kommandos waren wohlüberlegt. Wir
sahen mehr Einzelheiten am Ufer - die typische Landschaft des
Festlands nordwestlich von Keftiu, von vereinzelten Gehöften und
Häusergruppen gesprenkelt und von einem wütenden
Herbstgewitter gepeitscht. Über felsige Klippen stürzten
sich schmale Rinnsale herunter. Wind riß sie zur Seite und
zerstäubte das Wasser.
Je näher wir dem kleinen Hafenbecken kamen, desto weniger
unruhig wurde das Wasser. Zwei Molen aus Gesteinsbrocken und Quadern
erstreckten sich zangenförmig vom Land aus. Wir nahmen das Segel
erst halb, dann ganz herunter, und das Anlegemanöver unter dem
Doppelregenbogen fuhren wir mit den Riemen
Unsere Männer sprangen ins Wasser, und zusammen mit ihnen
zogen wir das Schiff mit dem Heck voran aus dem Wasser und rollten
den schlanken Körper mit Hilfe von runden Hölzern so hoch
wie möglich hinauf.
Dann standen wir schwitzend und durchnäßt im Hafen und
warteten.
Zahllose Gedanken wirbelten in meinem Kopf umher. Ich dachte
daran, daß sowohl Athen als auch Tiryns nicht von Knossos
abhängig waren. Ich versuchte mir vorzustellen, wie jene
dunkelhäutige Charis es fertigbrachte, vor uns die einzelnen
Siedlungen zu erreichen, auf welche Art sie reiste. War auch sie ein
Geschöpf von Wanderer? Ich hoffte, mit ihr zusammenzutreffen.
Wann? Wo? Unter welchen Umständen?
Unsere Männer waren ausgeschwärmt und hämmerten an
verschlossene Türen. Ich sah mich um. Nicht einmal die Schenke,
leicht erkennbar durch Tische und Bänke unter dem vorspringenden
Dach und durch die Zeichen der farbigen Krüge, war geöffnet.
Fischerboote und größere Schiffe lagen im Halbkreis, wie
die CHARIS, weit auf den Strand hinaufgezogen. Fischschuppen glänzten
silbern in den Maschen der Netze.
„Tiryns in der Argolis, Mykenai
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