PR TB 225 Eiswelt Cyrglar
Besitz ergriffen hatte und jede Bewegung zur Tortur
machte.
Eine schattenhafte Gestalt beugte sich über ihn. Er sah nur
die beiden dunklen Augenöffnungen in der Schneemaske.
„Die Verfolgung hat noch nicht begonnen“, sagte
Herkwarts Stimme dumpf unter dem dichten Stoff hervor. „Aber
lange wird es nicht mehr dauern. Je früher wir aufbrechen und je
rascher wir uns bewegen, desto besser sind unsere Chancen.“
Langion verstand, was er sagen wollte. Du siehst nicht so aus, als ob
du mithalten könntest. Er war eine zartfühlende Seele. Aber
Langion lag noch eine ganz andere Sorge auf dem Herzen.
„Du mußt damit rechnen, daß sie in Erfahrung
bringen, in welche Richtung ihr euch wendet“, sagte er und
stemmte sich dabei mühselig in die Höhe. „Wie lange
braucht ihr von hier bis zum... Wohnplatz?“
„Ohne Gleitschuhe, drei Stunden.“
„Das ist zu lang. Sie werden euch finden.“
Herkwart schüttelte den Kopf. „Sie können uns
nicht sehen. Selbst wenn inzwischen die Sonne aufgehen solle, sind
wir vom Eis nicht zu unterscheiden...“
„Es ist nicht das“, unterbrach ihn Langion. „Sie
haben Instrumente, mit denen sie die Ausstrahlung eurer Körper
nachweisen können. Jeder Körper gibt Wärme von sich,
und Infrarot-Taster...“
„Wärme?“ staunte Herkwart. „Faß mich
an!“
Langions kribbelnde Finger glitten über Herkwarts Arm.
Verblüfft betastete er zum Vergleich die Eisfläche, auf der
er gelegen hatte. Es gab keinen Unterschied. Die Oberfläche des
Anzugs, den Herkwart trug, war ebenso kalt wie das Eis.
„Ich sehe“, sagte er; aber in Wirklichkeit sah er
nicht.
Er konnte nur staunend zur Kenntnis nehmen, daß die
primitive, maschinenlose Zivilisation der Cyrglarer eine Methode
entwickelt hatte, den Menschen gegen die mörderische Kälte
dieser Welt zu schützen - eine Methode, die sich vor den
Kälteschutztechniken der terranischen Technologie nicht zu
verstecken brauchte.
„Einer von uns muß zurückbleiben“, begann
Herkwart von neuem. „Nenkvor. Sie haben ihm die Maske
abgenommen. Er würde sich das Gesicht erfrieren, wenn er mit uns
käme.“
„Was wird aus ihm?“ erkundigte sich Langion.
„Wir bringen ihm eine neue Maske.“
Langion begriff allmählich, worauf das Gespräch
hinauslief. „Dasselbe gilt für mich“, sagte er. „Mir
erfröre mehr als nur das Gesicht, wenn ich mit euch käme.
Außerdem kann ich eure Schnelligkeit nicht mithalten.“
Herkwart nickte befriedigt. „Ich habe schon daran gedacht.
Es gibt in der Nähe ein Versteck. Ihr wartet dort, bis wir euch
bringen, was ihr für den Marsch zum Wohnplatz braucht.“
Im Hintergrund der Höhle, wo der Wind nicht hinreichte, war
es um zehn Grad wärmer als draußen am eis- und
schneebedeckten Rand der großen Ebene, die sich von hier aus
Hunderte von Kilometern nach Osten zog.
Langion war es mit Hilfe von Atem- und suggestiven Denkübungen
gelungen, Müdigkeit und Erschöpfung zu überwinden. Er
mußte in Bewegung bleiben, wenn er diese Nacht überstehen
wollte.
Nenkvor war wesentlich besser dran als er. Seine Montur schützte
ihn von der Kälte. Selbstlos hatte er Langion angeboten, den
Anzug abzustreifen, damit sie sich aneinander wärmen könnten;
aber Langion war nicht auf das Angebot eingegangen.
Er hatte versucht, ein Gespräch mit dem jungen Cyrglarer zu
beginnen. Er wollte mehr über dieses eigenartige Volk von
Eiswüstenbewohnern erfahren, das von den Psiorama-Leuten und den
Stadtbewohnern „Abtrünnige“ genannt wurde. Aber
Nenkvor fiel ihm rasch ins Wort und lehrte ihn eine grundlegende
Weisheit der Polarwelt:
„Nicht sprechen! Sprechen verbraucht Wärme.“
Seitdem beschränkten sie sich auf den Austausch nur der
allernötigsten Bemerkungen. Marqutsons Schergen hatten Langion
die Uhr abgenommen. Aber Nenkvor hatte einen angeborenen Sinn für
den Zeitablauf und meldete sich jedesmal kurz zu Wort, wenn wieder
eine Stunde verstrichen war.
Langion ging in der Höhle auf und ab. Sie war langgestreckt
und schmal, dreißig Schritte vom hinteren Ende bis zur Mündung,
fünf Schritte von einer Wand zur ändern. Manchmal wagte er
sich hinaus ins Freie. Der Wind hatte ein wenig nachgelassen. Die
Wolkendecke war hier und da aufgerissen, und die ungeheure
Sternenfülle des Firmaments erzeugte eine matte Helligkeit, die
dem Blick erlaubte, die Einzelheiten der Umgebung zu erkennen.
Nach Westen hin erstreckte sich das Gewirr von Bergen und
Schluchten, das die Eingeborenen die Grellin nannten. Die
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