PR TB 225 Eiswelt Cyrglar
der
Grundregeln des Wohnplatzalltags kennen: jeder, der auf den Beinen
stehen kann und genug Kraft in den Armen hat, arbeitet. Die
Pflanzungen entlang der Terrassen gehörten den Bewohnern des
Wohnplatzes als Gemeingut und waren in Parzellen unterteilt, die in
rotierender Reihenfolge Mitgliedern der Sippe zur Kultivierung
zugewiesen wurden. Andere Bewohner des Wohnplatzes taten draußen
Dienst als Späher oder waren als Boten zu benachbarten Sippen
unterwegs. Ältere Männer und Frauen, die weder zur Arbeit
in den Pflanzungen noch zur Betätigung draußen in der
Eiswüste mehr fähig waren, betreuten den Nachwuchs.
Brak fand Lasyra in ihrer Unterkunft mit der Pflege des
Neugeborenen beschäftigt. Er erklärte ihr sein Anliegen und
war überrascht von der Begeisterung, mit der die junge Frau sich
bereiterklärte, ihm alles zu sagen, was sie wußte. Lasyra
war nach irdischen Maßstäben keine Schönheit. Die
Härte des Daseins hatte sie gezeichnet. Aber die Freude, die ihr
aus den Augen leuchtete, als sie hörte, daß der Fremde von
einer weit entfernten Welt über ihre Welt lernen wollte, machte
wett, was ihr an Vollendung der äußeren Form fehlte.
Die Sippen der Einen-Wahren, erfuhr Langion, beruhten nicht, wie
der Name andeutete, auf gemeinsamer Herkunft, sondern auf der
Gemeinsamkeit des Interesses. Es gab Cyrglarer, die die Aufzucht von
Flachblattpflanzen für die langweiligste Sache der Welt hielten
und statt dessen viel lieber bei der Kultivierung von
Nutzholzgewächsen mitgearbeitet hätten. Sobald sie das
Alter der Selbständigkeit erreicht hatten, bewarben sie sich bei
einer Sippe der Nutzholzbauern und fanden dort gewöhnlich ohne
Schwierigkeiten Unterkunft. Der Austausch von Sippenmitgliedern wurde
nach Kräften gefördert - sicherlich keine unkluge Maßnahme
in einer zahlenmäßig so schwachen Gesellschaft, in der die
Gefahr von Inzuchtfolgen ständig lauerte.
In den Tauhohlen, die zum Teil natürlich entstanden, zum Teil
künstlich geschaffen worden waren, gab es nicht nur Wohn-,
sondern auch reine Pflanzplätze. Der Sippe der Flachblattbauern
gehörten insgesamt fünf Tauhohle. Vier davon waren
ausschließlich dem Pflanzenbau vorbehalten. Die fünf
Tauhohle waren über eine Fläche verstreut, deren Umfang
Langion nach Lasyras Angaben auf zehn Quadratkilometer schätzte.
Die Flachblattbauern bauten, wie ihr Name sagte, in erster Linie
Flachblattpflanzen an. Diese wurden so genannt, weil sie im
Durchschnitt nicht mehr als zwei große Blätter
hervorbrachten, die sich flach an den Boden preßten. Aus den
Blättern der Flachblattpflanze wurde eine Faser gewonnen, die
bei der Herstellung von Textilien eine wichtige Rolle spiele. Die
Schneeanzüge zum Beispiel bestanden zu mehr als neunzig Prozent
aus Flachblattfaser. Die Flachblattbauern kultivierten jedoch auch
andere Pflanzen, und zwar hauptsächlich, um den Nahrungsbedarf
der Sippe zu decken. Jede Sippe war angewiesen, nach Möglichkeit
selbst für den eigenen Nahrungsbedarf aufzukommen. In Notfällen,
oder wenn eine Ernte durch Natureinwirkung zerstört worden war,
griff die kleine Sippe der Nährbauern ein, die nur für den
Genuß bestimmte Pflanzen züchtete.
Die Sippen waren autonom. Es gab keine übergeordnete
Autorität, kein geschriebenes Gesetz, das den Verkehr der
einzelnen Sippen untereinander regelte. Der Tauschhandel zwischen den
Wohnplätzen funktionierte auf der Basis des gesunden
Menschenverstands - der besten und zuverlässigsten aller
Grundlagen, die allerdings den Nachteil hatte, daß sie
Gesellschaften mit einer Mitgliederzahl von mehr als einer halben
Million nicht zu tragen vermochte. Sollte das Schicksal den
Einen-Wahren hold sein und ihr Volk weiterhin blühen und
gedeihen, dann würde eines Tages der Augenblick kommen, an dem
sie gezwungen waren, den gesunden Verstand durch eine geschriebene
Verfassung zu ersetzen.
Wie Tauhohle entstanden, darüber wußte Lasyra wenig
Einzelheiten. Langion ergänzte ihre Aussagen durch eine Reihe
physikalischer Überlegungen und gelangte zu folgendem Bild. Der
Untergrund der großen Ebene war von Rissen und Schrunden
durchzogener, durchlöcherter Karst. Früher, als heftige
Schneefälle noch an der Tagesordnung gewesen waren, hatte der
Schnee die Löcher gefüllt und war unter dem Druck seines
eigenen Gewichts zu Harsch und Eis erstarrt. Nun geschah es hin und
wieder unter besonders günstigen Umständen, daß das
Eis in der Nähe eines Karstlochs zu schmelzen begann und das
Schmelzwasser von
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