PR TB 234 Tödliche Wahrscheinlichkeit
ihr Mohlem dazwischen.
»Ich ahne, was Sie mir sagen wollen«, sagte er
freundlich. »Ich habe mir diese Gedanken in den letzten Minuten
auch schon gemacht. Ich bin mir durchaus darüber klar, was auf
mich zukommt.«
Er grinste verwegen.
»Aber noch mehr bin ich mir darüber klar, was auf die
Stadt zukommt, wenn ich Bürgermeister bin. Es wird turbulent
zugehen, aber ich glaube, daß der Stadt ein bißchen Leben
gut bekommen wird. Leben heißt nämlich Bewegung, und dort
draußen bewegt sich gar nichts mehr. Und das werde ich zu
ändern versuchen.«
»Glauben Sie, daß Sie das schaffen werden?«
fragte Cassia zweifelnd.
Peyger Mohlem lachte breit und offen.
»Sie werden mir dabei helfen. Ich habe viele verrückte
Ideen, und Sie haben die einschlägige Erfahrung. Ich glaube wir
werden hervorragend zusammenarbeiten, Sie und ich.«
Er hob das Glas mit Fruchtsaft.
»Auf unsere Zusammenarbeit!«
Verwirrt und erschöpft stieß Cassia mit ihm an und
trank. Und im nächsten Augenblick beugte sich Mohlem über
den Tisch und gab ihr einen freundschaftlichen Kuß.
Cassia Huddle sah ihren Amtsnachfolger entgeistert an, dann ließ
sie den Kopf auf die Tischplatte sinken und begann zu schluchzen.
Poshnam ging einer Katastrophe entgegen - und sie war nicht in der
Lage gewesen, das zu verhindern.
3.
Einen freien Schreibtisch hatte in den letzten zehn Jahren kein
Bürger von Poshnam im Amtszimmer des Bürgermeisters mehr
gesehen. Auch jetzt war der Tisch nicht frei.
Es lagen zwei Füße darauf, eingehüllt in
Fellschuhe. Und rechts und links an den Seiten standen zwei
verwirrende Gebilde aus Holz und Draht und Glas, die sich bewegten
und Schnurrlaute von sich gaben und aus der künstlerischen
Werkstatt des künftigen Bürgermeisters stammten.
Peyger Mohlem hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und
sah sein Gegenüber an. Cassia Huddle saß ein paar Schritte
entfernt in einem bequemen Sessel und tastete ab und zu nach dem
türkisfarbenen Stirnband, das ihre Haare hielt - eine der
verrückten Ideen des zukünftigen Bürgermeisters. Im
Raum hing ein Geruch nach verbranntem Harz, an den sich Cassia zu
ihrem Erstaunen rasch gewöhnt hatte.
Seit vier Tagen genoß Cassia das zwiespältige
Vergnügen, Mohlem in die
Amtsgeschäfte einzuführen, und seit der ersten Begegnung
hatte sie das Gefühl von Verwirrung und Unsicherheit nicht
verloren, das Mohlem jedem seiner Gesprächspartner zu bereiten
pflegte. Sogar in ihren Träumen ging es seit vier Tagen höchst
turbulent und absonderlich zu. Die Mohlemsche Krankheit schien
ansteckend zu sein.
»Eigentlich wollte ich die Bürgermeisterin sprechen«,
sagte der Besucher.
Cassia kannte ihn. Culver Benting war häufig ihr Gast
gewesen, und er war beim Hinausgehen immer wesentlich sympathischer
gewesen als beim Eintreten. Ein großer Mann mit einem dicken
Nacken, einem leicht geröteten Gesicht und schweren Händen,
vermutlich vom Geldscheffeln.
»Ich habe beschlossen, mich sofort um alles zu kümmern«,
sagte Mohlem freundlich. Er sah Benting unverwandt an, und er wich
diesem Blick ebenso beharrlich aus. Cassia stellte es mit innerer
Freude fest.
»Legen Sie los, Mister Benting.«
Benting räusperte sich umständlich.
»Sie haben heute früh ein Ei gegessen«, sagte
Mohlem. Benting zuckte wie vom Schlag gerührt zusammen. Er
stierte Mohlem an.
»Woher.?« stotterte er verwirrt.
»Der Leptocyklingehalt des Eigelbs steigert die
Adenosintriphosphatausschüttung der Langermarckschen Inseln, und
das wiederum führt zu einer vergrößerten
Friktionsfrequenz der Augen. Ganz einfach.«
Benting nickte wie hypnotisiert.
»Ach, wirklich? Also, ich bin wegen des Grundstücks
gekommen, das die Stadt von mir kaufen will.«
Mohlem wandte den Blick zu Cassia.
»Wollen wir?«
»Wir brauchen das Gelände zur Erweiterung der Schule«,
berichtete Cassia, die alle Details dieses unerfreulichen Kuhhandels
im Kopf hatte. »Die Erweiterung zur anderen Seite ist nicht
möglich, denn dort liegt eine Grünzone, die wir nicht
bebauen wollen, weil sonst das daran angrenzende Feuchtbiotrop
gefährdet wäre. Es handelt sich um einen einfachen Konflikt
zwischen Ökologie und Geschäft.«
Benting grinste unverschämt. Er war sich seiner Sache sehr
sicher, schien es.
»Was soll das Grundstück kosten?«
»Dreihunderttausend Solar«, berichtete Cassia.
»Und was ist es tatsächlich wert? Ich bitte um
Offenheit.«
»Höchstens ein Drittel, und selbst das wäre noch
großzügig
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