PR TB 234 Tödliche Wahrscheinlichkeit
Sicherungen ließen sich im Ersatzteilfach
nicht finden.
Da die Gruppe zu diesem Zeitpunkt dem Expeditionsziel - einer
Gebirgssiedlung der Marbaslahnis - bereits entschieden näher war
als dem Ausgangspunkt Poshnam, hatte Nicole den anderen Teilnehmern
vorgeschlagen, die Expedition wie geplant fortzusetzen. Bei den
Marbaslahnis bekam man vielleicht auch Ersatz für die Batterie,
die die Gruppe benötigt hatte, um das transportable Funkgerät
in Gang zu setzen.
Tsygoyan sah auf und fixierte Nicole.
Sein Gesicht war von der Sonne verbrannt, die Lippen
aufgesprungen.
»Ziemlich viel Pech für so eine kleine Gruppe«,
krächzte er und ließ den Kopf wieder sinken.
So konnte man es auch nennen, dachte Nicole. Sie zog den linken
Fuß ein Stück näher, damit er wieder in den kühlenden
Schatten geriet. Hätte sie nicht gelernt, logisch und
folgerichtig zu denken, wäre sie wahrscheinlich zu dem Ergebnis
gekommen, daß irgend jemand die Exkursion zu sabotieren und
ihre Teilnehmer zu töten versuchte.
Denn mit diesen Vorkommnissen war die Kette der Unfälle
beileibe nicht abgerissen.
Ayke Sawer, eine der zuverlässigsten und ordentlichsten
Mitarbeiterinnen des Instituts, hatte es fertiggebracht, die Tasche
mit sämtlichen Karten in einen Felsspalt fallen zu lassen - und
zwar den einzigen Spalt in weitem Umkreis, der sich als absolut
unzugänglich erwiesen hatte. Jeder Versuch, an die unersetzliche
Tasche wieder heranzukommen, war kläglich gescheitert, und die
Gruppe konnte sich glücklich preisen, daß es bei zwei
Fehlversuchen lediglich zu Prellungen gekommen war und nicht zu
ärgeren Verletzungen. Seither schlug sich die Gruppe ohne
Kartenmaterial im Gebirge herum, nur eine grobe Orientierung nach der
Sonne war noch möglich.
Ayke kam von ihrem Platz herübergekrochen; die langen dunklen
Haare waren verfilzt, auch ihre Lippen waren schon aufgesprungen.
»Es sieht ziemlich übel aus, nicht wahr?«
Nicole nickte schwach.
»Übel ist noch der schwächste Ausdruck«,
brachte sie mühsam über die Lippen.
»Ist noch Wasser da?«
»Kein Tropfen«, antwortete Nicole.
»Und wie geht es jetzt weiter?« wollte Ayke wissen.
Nicole zuckte mit den Schultern. Natürlich kannte sie die
Antwort, aber sie hatte keine Lust, sie zu sagen und sie sich damit
selbst ins Gedächtnis zu rufen.
Ein paar Stunden noch in dieser Hitze, dann würden die ersten
anfangen vor Durst zu delirieren. Halluzinationen würden
auftreten und immer verführerischer werden. Glücklich der,
der darauf hereinfiel und sich beim Bad in dem vorgegaukelten See
rasch das Genick brach - den anderen stand ein weit gräßlicherer
Tod bevor. Vielleicht war es möglich, die Gruppe bis zum Abend
zusammenzuhalten, dann gab es noch eine winzige Chance. Nachts war es
wesentlich kühler in den Bergen, dann kostete nicht jeder
Schritt entsetzliche Mengen Schweiß und damit lebensnotwendiges
Wasser. Es gab Wasser in dieser Region, das wußten die
erfahrenen Geologen genau
- aber es ließ sich einfach nicht finden. Bei dem Pech, das
die Gruppe verfolgte, war sogar anzunehmen, daß sie ein halbes
Dutzend Male an einer Zisterne vorbeigelaufen war, ohne das
lebensrettende Wasser auch nur geahnt zu haben.
Nicole spähte zum Himmel hinauf. Die Sonne stieg immer höher,
und am Himmel war keine Wolke zu sehen. Seit Tagen hoffte jeder im
Team, daß sich ein Marbaslahni mit einem Drachen zeigte -
Nicole trug eine Signalpistole, mit der man einen Hilferuf hätte
in den Himmel schicken können. Aber es war wie verhext - kein
einziger der Drachenflieger hatte sich gezeigt.
»Was ist in dieser Flasche?« wollte Ayke wissen.
Nicole zeigte ein verächtliches Lächeln.
»Flußsäure«, sagte sie müde. »Wir
lassen sie hier stehen, sie wird uns auch nicht helfen.«
So lange es sich hatte machen lassen, waren die wissenschaftlichen
Geräte
mitgeschleppt worden, auch wenn es in dieser Region nichts zu
untersuchen gab - geologisch betrachtet, war das Gebirge von
entsetzlicher Langeweile. Niemals zuvor hatte Nicole eine so
trostlose und einförmige Landschaft gesehen.
»Bist du sicher, daß kein Wasser darin ist? Ganz
sicher?«
»Kannst du lesen? Dann lies - es steht auf der Vorderseite,
und keiner von uns hat die Flasche geöffnet.«
»Vielleicht haben wir uns alle geirrt?«
Der Durst begann bereits die Hirne zu vernebeln. Hoffnungen und
Sehnsüchte traten an die Stelle klarer Wahrnehmung.
»Bleib sitzen und rühre dich nicht«, bestimmte
Nicole. Sie ärgerte sich, daß sie
Weitere Kostenlose Bücher