PR TB 234 Tödliche Wahrscheinlichkeit
irgendeine Möglichkeit, die Leute in der
Stadt zu warnen?« fragte Mohlem.
»Keine«, versetzte Nicole Barbers. »Die Bewohner
Poshnams werden ebenso auf sich gestellt sein wie wir - und ich weiß
nicht, wer das bessere Los gezogen hat.«
»Knapp zwei Stunden noch«, murmelte Mohlem. »Wir
wollen sehen, was wir in dieser Zeit noch ausknobeln können.«
Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne standen als
rotsprühendes Strahlenbündel über einer Felsnase. Die
Stunde der Entscheidung war offensichtlich gekommen.
Die Marbaslahnis rüsteten sich zum Abflug. Sie hatten in den
letzten Stunden berauschenden Getränken zugesprochen, darunter
einem Pilzabsud, der Mohlem unwillkürlich an jenes Gebräu
erinnerte, mit dem vor Jahrtausenden sich die Urgermanen in die
berüchtigte Berserkerwut hineingesteigert hatten. Wenn die
Marbaslahnis mit der gleichen todverachtenden Kühnheit und Wut
über die Poshnam-Bewohner herfielen, stand es wahrhaftig sehr
schlecht um die Stadt.
Eine Drachenstaffel nach der anderen wurde bemannt und stieg auf.
Die Drachen sammelten sich am Himmel über dem Tal, eine immer
größer werdende Schar ungeschlachter Kolosse, die lautlos
am Himmel ihre bedrohlichen Kreise zogen. Peyger Mohlem spürte,
wie ihn Schauer überliefen, als er die Luftarmada der
Marbaslahnis anwachsen sah.
Eine Staffel von zehn Drachen blieb übrig - offenbar das
Kommando, das die Geiseln zum Nest des Drachenkönigs bringen
sollte.
Frauen und Kinder waren keine zu sehen. Sie hielten sich in den
Hütten verborgen und warteten dort die Rückkehr der Krieger
ab - falls es eine gab.
Jetzt stiegen auch die letzten Drachen auf, nachdem
Marbaslahni-Krieger an dem Weidenkorb etliche Taue befestigt hatten.
Mohlem spürte den leisen Ruck, mit dem der Käfig sich vom
Boden löste, als die Drachen starteten.
Die Weidenruten, aus denen der Käfig geflochten war, ächzten
und gaben Geräusche von sich, die allen Beteiligten den
Angstschweiß auf die Stirn trieben - Sholtersteen
eingeschlossen. Zum Glück konnte man praktisch nichts sehen,
wenn man in die Tiefe blickte - daher blieb den Opfern der Anblick
der schroffen Felsformationen erspart, über die der Käfig
hinweggeschleppt wurde.
»Mir wird übel«, bekannte Tsygoyan. »Hoffentlich
findet diese Schaukelei bald ein Ende.«
Sein Wunsch ging in Erfüllung. Die Drachen sanken tiefer, der
Käfig berührte den Boden, überschlug sich dabei, und
blieb dann mit einem wütend schimpfenden Geiselknäuel
liegen.
Im spärlichen Licht des Mondes konnte Mohlem, der sich bei
dem Aufprall die Nase gestoßen hatte, die Marbaslahnis sehen,
die rasch näher kamen. Ihr Anführer trug ein Bündel
Schwerter unter dem Arm. Er legte sie ein paar Schritte von dem
Weidenkäfig entfernt auf den Boden. Mit der Hand deutete er nach
vorn.
Dort war in der schwarzen massigen Felswand eine Öffnung zu
sehen, aus der heraus es glitzerte und strahlte.
»Geht dort hinein!« bestimmte der Marbaslahni. »Der
Drachenkönig wird dort auf euch warten. Wehe euch, wenn ihr
versucht zu fliehen - unsere Drachen werden euch jagen und eure
Leiber mit ihrem Feueratem verbrennen.«
Mit der Spitze seines Speeres öffnete er die Riegel, die den
Weidenkäfig verschlossen. »Geht!«
Die Geiseln sammelten sich außerhalb des Käfigs und
untersuchten zunächst ihre körperliche Beschaffenheit. Eine
der Geologinnen hatte sich einen Knöchel angeschlagen, aber
ernstlich verletzt war niemand. Mohlem verteilte die Schwerter unter
die Gruppe - für jeden gab es eine Waffe.
»Die Klingen sind nicht übel«, stellte Mohlem
fest. Die Waffe lag gut in der Hand. Er pries sich glücklich,
daß zur Schulung eines Abwehragenten auch Fechten gehörte
- wenn auch nicht gerade mit solchen Klingen. Die Wissenschaftler
machten da schon weniger glückliche Figuren; die Art, in der sie
die Schwerter anfaßten, verriet, daß sie kein rechtes
Vertrauen zu solch urtümlicher Bewaffnung hatten.
»Machen wir uns auf den Weg«, sagte Mohlem.
Langsam stiegen die Geiseln den steilen Weg zu der Höhle
hinauf. Gelegentliches Fauchen und Leuchten aus geringer Entfernung
bewies, daß es in dem Fels etliche Drachenlöcher gab -
mindestens ein halbes Dutzend
verschiedener Drachenfackeln zählte Mohlem binnen weniger
Minuten. In der Glitzerhöhle rührte sich nichts.
»Seit vielen Menschenaltern hat es keinen Drachenkönig
mehr gegeben«, murmelte Sholtersteen. Mohlem sah ihn an. Für
den Marbaslahni war dies nicht nur ein Kampf um Leben und Tod -
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