PR TB 236 Die Stadt Der Zukunft
Biopositronik - ist für ihre
menschlichen Bewohner Beichtvater und Arzt, Psychiater und
Kindermädchen, Lehrer und Putzfrau. Sie ist Strom- und
Wasserwerk, Verwaltung und Krankenhaus, Freizeitzentrum und
Universität, Bank und Seelsorge. Die Anonymität ist
besiegt. Wer Beschwerden hat, wendet sich an MAMMA direkt. Wer
Wünsche hat, spricht MAMMA an. Wer sich Sorgen macht, bittet
MAMMA um Rat. Wer Hilfe braucht, fragt MAMMA.
Und die Stadt ist noch mehr.
Sie ist der gute Geist ihrer Bewohner, denn sie kennt jeden
einzelnen und weiß um seine Sorgen, Nöte, Hoffnungen und
Sehnsüchte.
MAMMA ist.«
»Ich weiß nicht«, warf Rast boshaft ein, »was
Ihre Mutter mit dieser Angelegenheit zu tun hat, Gene.«
Leises Gelächter erklang, und Milwony spürte verärgert,
daß er errötete.
»Ich danke für den intelligenten Einwurf, Herr
Kollege«, entgegnete er ironisch, »und möchte direkt
überleiten zur nächsten Novität dieses einzigartigen
urbanen Wohnmodells.
Ich behaupte, daß die Architektur trotz aller scheinbaren
Fortschritte noch immer eine Architektur des Höhlenmenschen ist.
Ich behaupte, daß wir nach wie vor in urbaner Steinzeit
leben.
Es gibt Ausnahmen, gewiß, doch in unseren Städten
herrschen starre, unverrückbare Formen vor. Fester Stein, harter
Stahl, unflexibles Glas, steifer Kunststoff. Die Häuser sind
statisch, gleichgültig, ob sich die Bedürfnisse der in
ihnen wohnenden Menschen ändern oder nicht. Eine Fassade bleibt
stets die Fassade, die sie auch vor zehn oder zwanzig Jahren
war, gleichgültig, ob man ihr einen neuen Verputz, einen
neuen Anstrich gegeben hat.
Unsere Städte sind kristallisiert.
Unsere Städte bieten wenig Raum für Veränderungen -
und wenn doch, dann durch barbarische Abrißmethoden, durch
Zerstörung und anschließendem Neuaufbau, der wiederum
statische, eherne Unveränderlichkeit bedeutet.«
Gene Milwony holte zu einer großartigen Geste aus und
deutete auf das quadratkilometerweite Grau.
»Bei MAMMA ist alles anders.
MAMMA ist nicht statisch, nicht tot, nicht erstarrt. Verändern
sich die Bewohner, ihre Wünsche und Bedürfnisse, verändert
sich auch die Stadt. Radikal, wenn es sein muß.
MAMMA besteht aus semi-lebendem Biokunststoff, eine
Fortentwicklung jenes organischen, genmanipulierten Materials, das
die Zweitkonditionierten zum Bau ihrer Dolans benutzt haben.
Niederfrequente Mikrowellenströme können bei Bedarf dem
Zellgewebe jede gewünschte Form verleihen. Auf ein Wort hin
erschafft MAMMA runde, ovale, eckige Raumformen. Sie vergrößert
oder verkleinert die Zimmer, bildet Trennwände oder löst
sie auf, läßt Terrassen und Treppen wachsen und
verschwinden, ganze Häuser aus dem Boden sprießen, verengt
oder verbreitert Straßen und Plätze, kreierte Tunnels und
Überführungen, Brücken oder Schwimmbäder.
Und MAMMA kann noch mehr.
Der Biokunststoff ist ein autochromatisches Gewebe; er kann jede
verlangte Farbe oder Farbschattierung annehmen, jede Konsistenz, von
geleeartiger Weichheit bis zu stählerner Härte.
MAMMA bildet Möbel nach den Wünschen der Einwohner,
wechselt zehnmal am Tag die Tapeten und Fenstervorhänge, wenn es
sein muß. Morgens können Sie in einem Bauernzimmer
aufwachen, abends in einem mondänen Boudoir zu Bett gehen.
Nehmen Sie das Frühstück in einer skandinavischen Küche
und das Mittagessen in einem arkonidischen Freiluftspeiseraum ein.
Was physikalisch möglich ist, das kann MAMMA.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt.«
Milwonys Wangen glühten in fiebriger Erregung.
»MAMMA bedeutet das Aus für das Höhlenleben der
Steinzeit. Deshalb ist sie die Stadt der Zukunft - weil sie aus dem
Wohnen Leben macht.
Ich danke Ihnen.«
Der Designer deutete eine leichte Verbeugung an. Plötzlich,
aufgeputscht von seinen eigenen prophetischen Worten, erfüllte
ihn Triumph, und der Triumph gebar eine Vision.
Er sah vor seinen geistigen Augen eine Stadt, die wie ein
organisches Wesen wuchs und sich veränderte, sich
fortentwickelte, sensibel auf jeden Reiz reagierte. Licht und luftig
in der Hitze des Sommers, warm und gemütlich in Winterskälte,
frisch und bunt im Frühling, ein Dom aus Glanz
und Fröhlichkeit im trüben Grau des Herbstes. Ein
Kunstwerk, keine Stadt. Ein Geschöpf, das mit seinen Bewohnern
kommunizierte, eine Symbiose führte, so daß sich Stadt und
Bürger gegenseitig ergänzten. Er sah.
»Wenn man mich fragt«, schnitt Rasts barsche Stimme in
seine wundervollen Träume, »so ist das Ganze nichts
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