PR TB 237 Sechs Flammende Sonnen
Mercant kam nicht umhin, sich die Frage nach dem
Sinn des Lebens zu stellen. Unmöglich, eine Antwort darauf zu
finden, ebenso unmöglich aber auch, diesen Gedanken wieder zu
verdrängen. Beinahe quälend machte er sich bemerkbar.
Gab es einen wirklichen Tod, oder starb mit dem Menschen nur der
Körper, die fleischliche Hülle? Und was wurde aus dem
Geist, der Seele, oder wie immer man es nennen wollte - begann für
sie ein schöneres Leben, wie es viele irdische Religionen
lehrten? Oder durfte man den Geist nur wissenschaftlich nüchtern
als Feld geringer elektrischer Energien betrachten, das erlosch,
sobald die Stoffwechselvorgänge innerhalb der Zellen zum
Erliegen kamen?
Ein Vergleich drängte sich unwillkürlich auf. Mercant
mußte an Ernst Ellert denken, den Teletemporarier, der sich vor
langer Zeit geopfert hatte, um eine Katastrophe zu verhindern. Nur
war Ellert eben nie ganz gestorben, sondern in dem Augenblick, in dem
sein Geist den Körper verließ, trat eine blitzartige
Herabsetzung aller rein biologischen Funktionen auf, was in der Folge
sowohl die Verwesung als auch ein Absterben der Nervenzellen
verhinderte. Wie man inzwischen erfahren hatte, durchstreifte Ellerts
immaterielles Ego das Universum nicht nur räumlich, sondern auch
innerhalb verschiedener Zeitströmungen.
Ein dumpfes Grollen schreckte den Solarmarschall auf. Er hatte das
Gefühl, die Zeit würde um ihn her stillstehen. Alles schien
seltsam verändert; selbst die Luft wurde zu einem dickflüssigen
Medium, das Geräusche aus den entfernten Sektoren des Schiffes
übertrug.
Mercant wollte sich erheben, seine Bewegungen wirkten
zeitlupenhaft. Die Wand vor ihm begann sich aufzulösen, wurde
für Sekundenbruchteile (oder war es eine kleine Ewigkeit?)
durchsichtig. Er schrie, als es siedendheiß durch seine Glieder
pulste, aber kein Laut drang über seine Lippen.
Schlagartig veränderte sich die Umgebung.
Allan D. Mercant glaubte, aus der Tiefe eines lichtlosen Ozeans
emporzutauchen an die sonnenüberflutete, glitzernde Oberfläche.
Ähnlich erging esjedem an Bord des Passagierschiffs.
Ihm war übel, aber diese Übelkeit wich rasch der
Erkenntnis, daß man wieder im Einsteinraum weilte. Unzählige
Sterne zeichneten sich auf dem kleinen Bildschirm ab; ihr Schein war
wie eine stumme Verheißung.
Zufällig fiel Mercants Blick auf die Datumsanzeige. Zwei
Stunden fehlten, an die er nicht die geringste Erinnerung besaß,
als hätte es diese beiden Stunden nie gegeben. Möglich, daß
Dilatationserscheinungen beim Rücksturz der STARLIGHT
aufgetreten waren.
Hatten die Techniker das Unmögliche geschafft und die Kalups
wieder in volle Funktionsfähigkeit versetzt? Nach allem, was er
bisher in Erfahrung gebracht hatte, zweifelte der Solarmarschall
daran. Wahrscheinlich war es infolge der Reparaturarbeiten zufällig
zu einer entsprechenden Schaltung gekommen.
Der Ausschnitt auf dem Monitor zeigte Sterne in ungewöhnlich
dichter
Population. Zum Teil standen die Sonnen wohl nur Lichttage weit
voneinander entfernt. Allan D. Mercant konnte sich nicht daran
erinnern, jemals ein ähnliches Bild gesehen zu haben.
Die STARLIGHT mußte weiter in den Raum vorgedrungen sein,
als er befürchtet hatte. Dies war keinesfalls mehr ein Abschnitt
der galaktischen Randzone.
Das Summen des Interkoms unterbrach seine Überlegungen. Steve
McLinland war der Anrufer. Sein Gesieht wirkte verschlossen und ließ
keine Regung erkennen.
“Ich hätte Sie gerne in der Zentrale, Sir."
“Wissen Sie, wo wir uns befinden?"
McLinland zuckte mit den Schultern.
“Ich komme", nickte Mercant.
Keiner der Passagiere begegnete ihm, als er seine Kabine verließ.
Sie hatten sich zurückgezogen, tranken oder schliefen, ja nach
Temperament. Nur wenige ließen sich noch in den
Gemeinschaftsräumen blicken - vielleicht weil ihnen ihre eigene
Hilflosigkeit erst richtig bewußt geworden war.
Allan D. Mercant dachte an gar nichts, während er im
zentralen Antigravschacht nach oben schwebte. Mitunter war es
sinnvoll, wenigstens für einige Minuten völlig abzuschalten
und unvorbelastet den Dingen gegenüberzutreten. Wenn man wie er
ständigen Belastungen ausgesetzt war, mußte man
zwangsläufig lernen, mit der eigenen Gesundheit hauszuhalten.
Selbst Zellaktivatorträger bildeten da keine Ausnahme,
wenngleich sie in vielfacher Hinsicht besser geschützt waren.
Als er den Lift verließ, sprang ihm vom Panoramabildschirm
das Funkeln und Gleißen Tausender Sonnen entgegen. Einige
zeichneten
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