PR TB 245 Das Ende Eines Herrschers
und kümmern sich nicht um uns. Um uns, die
Sterblichen, zu denen auch du gehörst, auch wenn du es nicht
gern hörst, Alexander.«
Alexander schwieg. Er verstand, daß ich es ernst meinte. Die
Frage war nur, ob er mich als Gegner genügend hoch einschätzte,
denn er kannte die Wirkung des Zellaktivators. Er wußte nur
nicht, und es würde ihm niemals der Gedanke kommen, daß
ich dieses Amulett jeglicher Wirkung berauben und ihn damit binnen
einer Anzahl von Stunden töten konnte. Sein Lager hatte sich
mittlerweile in eine verblüffende und befremdliche
Zurschaustellung von Narzißmus verwandelt -Selbstgefallen
begann zu herrschen, unechte Schönheitssucht, falsche Aufwertung
des Egos der Heerführer, ihrer weiblichen oder männlichen
Freundinnen. Ich hob den Arm und sagte:
»Thapsakos ist bestraft. Die Toten werden nicht mehr
lebendig. Von Tag zu Tag wird dein Reich größer,
Alexander. Deinen Weg werden Städte säumen, die alle deinen
Namen tragen. Ich möchte nicht mit dir über wirklich
wichtige Dinge reden, wenn dein ganzer Troß uns zuhört. Es
sind zu viele, und ich kann nicht behaupten, daß mir alle
gefallen.«
Einige Augenblicke lang stieg er von seinem unsichtbaren Thron
herunter. Er hatte schon zuviel erreicht; noch kannte er keine
Selbstzweifel und keine Besinnlichkeit. Sein Gesicht wirkte wieder
jung und verwundbar, als er nach einer Weile antwortete:
»Es mag sein, daß ich mehr als nur zwei Fehler gemacht
habe, Atalantos. Wir beide sind uns ähnlich und verschieden
gleichermaßen. Ich verstehe, daß es dich nicht drängt,
mein Freund zu werden.«
»Es ist für jeden schwer, nicht nur für mich und
meine Freunde«, unterbrach ich schroff. »Erst dann, wenn
du wirklich die Ruhe des großen, wissenden Königs erreicht
hast, werden wir Freunde werden. Wenn du willst, wenn ich es will.«
»Viele Jahre werden vergehen.«
»Tausende werden in dieser Zeit sterben müssen,
Alexander. Es wird einen Tag geben, an dem auch du dir die Frage
stellst, ob das Erreichte die Kämpfe, Strapazen, Entbehrungen,
Wunden und Räusche wert war. Und ob diejenigen, von denen die
unzähligen Stufen deines göttlichen Thrones belagert
werden, auch wirklich wert sind, daß du sie als Freunde
bezeichnest. Dir fehlt, was Ältere, Reifere haben.«
»Was ist es?«
»Besinnlichkeit, Selbstkritik und das Erkennen des Maßes
der Dinge. Dein Dichter, Homer, hat gute Worte dafür gefunden.
Lies und erkenne!«
Er hörte zu, schwieg und, wie es schien, dachte er darüber
nach. Endlich fragte er: »Wohin führt dich dein Weg,
Atalantos?«
»Irgendwohin«, sagte ich. »Vermutlich an eine
Stelle der Welt, an der niemand deinen Namen kennt.«
»Gilt noch immer, was wir besprachen?«
Ich verstand, was er meinte. Es war, auf seine Art, abermals eine
Bitte um Freundschaft. Ich wurde einen langen Augenblick schwankend
und dachte an Persepolis und die Gräber von Shanador.
»Rufe mich«, sagte ich leise, »wenn du wirklich
einen Freund brauchst. Ich bin kein Bagoas, kein Kleitos und keine
Thais. Ich bin anders, ich suche meine Freunde aus einer großen
Menge aus. Nur wenige bestehen die Probe. Noch eines, zwischen dir
und mir, Alexander! Die Götter wissen es! Dein dritter Fehler
wird dein letzter sein.«
Er kam die beiden niedrigen Stufen herunter und streckte mir die
Hand entgegen. Wir packten einander mit hartem Griff an den
Handgelenken.
»Gehe, wohin du willst. Dein Name wird im Heer stets der
Name des Freundes sein. Und eines fernen Tages werden wir uns wieder
treffen. Vielleicht bin ich dann alt und weise genug.«
»So soll es sein«, sagte ich. »Die Welt ist
klein genug für mich, und für dich ist sie zu groß.
Denke darüber nach.«
»Ich verspreche es«, sagte er, aber selbst er schien
nicht recht daran zu glauben. Ich blickte ihn ein letztesmal an, hob
den Arm und schwang mich in den Sattel meines Schimmels, nachdem ich
Charis auf den Rücken ihres Reittiers geholfen hatte. Wir
verließen, schweigend und nachdenklich, wie wir gekommen waren,
das Lager des Alexander bei Hekatompylos.
Nicht Herakles, der Halbgott, sondern Prometheus hatte nach den
Sagen der Griechen den Barbaren das Feuer gebracht. Feuer stand für
jede Form der Erkenntnisse und des Wissens, die aus steinzeitlichen
Jägern ein Volk machten, das Gelehrte hervorbrachte und - einen
Philipp und einen Alexander. Herakles, Amon und Zeus mochten
Alexanders Heroen sein, meiner war Prometheus.
Nachdenklich sagte Charis, als wir die letzten Zelte und
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