PR TB 245 Das Ende Eines Herrschers
seinen Augen und
verschwammen miteinander. Ein Lichtblitz störte ihn, er wandte
den Kopf und sah die Reihe der bärtigen Gesichter der Wachen an
der Innenwand des Zeltes. Die Sarissenträger taten so, als
verstünden sie kein Wort.
»Kleitos!«
Alexander glich, obwohl kein Mann mehr in der Lage war, es zu
bemerken, mehr denn je einem Löwen vor dem Angriff. Kleitos hob
den Kopf, suchte den Ursprung der Stimme und stützte sich, als
er den Feldherrn erkannte, schwer auf die Tischkante.
»Was willst du, kleinwüchsiger Eroberer?«
»Du sollst schweigen und nicht Männer«, sagte
Alexander mit schwerer Zunge, »in den Schmutz ziehen. Männer,
die besser sind als du.«
Kleitos lachte höhnisch.
»Bringe den Spitamenes zur Strecke, Feldherr, und dann
beweise uns, daß deine Taten größer als dein Wuchs
sind!«
»Deine Zunge ist, und das weiß jedermann, größer
als dein Mut!«
»Amon ist besser als du, älter und mit mehr Erfahrung!«
»Lasse Amon aus dem Spiel, alter Narr.«
Die Freunde versuchten, Alexander und Kleitos auseinanderzuhalten.
Aber beide Männer wurden immer lauter. Wein floß zu Boden,
Becher kollerten über den Bretterboden, es gab Geschrei, in dem
die Musikanten und die Sänger hoffnungslos untergingen.
Schimpfworte und Gelächter flogen hin und her. Wieder stritten
die jüngeren Gäste, die an dem würdelosen Spektakel
viel Spaß hatten, mit denen, die älter und besonnen waren
und wußten, daß viele böse Worte niemals wieder
zurückgenommen werden konnten und sich wie Felsen aufgetürmt
hatten, die man nicht umgehen konnte. Aber sowohl Alexander als auch
Kleitos fegten die Freunde, die ihnen in die Arme fielen, zur Seite.
Zwischen ihnen bildete sich eine Gasse, durch die hindurch sie
sich anschrien.
Als Kleitos schon wieder und noch immer Alexanders Freunde als
Lustknaben beschimpfte, die Frauen als schmutzige Dirnen, Amon als
Hirngespinst und Alexander als zwergenhaften Betrunkenen, verlor der
Feldherr die mühsam bewahrte Beherrschung.
Er war rasend vor Zorn und bewegte sich mit einer Schnelligkeit,
mit der niemand gerechnet hatte.
Er sprang zur Seite, entriß in einer blitzschnellen Bewegung
dem nächststehenden Sarissenträger den langen Speer, kehrte
ihn in derselben Bewegung in der Luft um und schleuderte ihn quer
durch den Raum. Die Lanze traf Kleitos in die Brust, und die Spitze
drang zwischen den Schulterblättern durch den purpurgesäumten
Chiton. Alexander sprang hinzu, riß die Sarisse heraus und
lehnte sie geistesabwesend an die Wand.
Neben Alexander war plötzlich Hephaistion, riß ihn zur
Seite und stöhnte:
»Mord! Nacht des Schreckens!«
Alexanders Zorn war ausgelöscht. Er sackte zusammen, schlug
die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus. Sein Körper
zuckte und schüttelte sich, er machte sich aus der Umklammerung
der Arme des ältesten Freundes frei und stürzte sich auf
Kleitos. Die Erschütterung war tief und rührte an die
Wurzeln des jungen Mannes. Er war unfähig zu reden und stammelte
wirres Zeug. Als er zusammenzubrechen drohte, brachten ihn die
Freunde hinaus und auf sein Lager. Tödliche Stille breitete sich
aus, und der Schock dieser Tat ging durch die Zelte wie die Ringe,
wenn ein Stein in einen ruhigen Teich gefallen war.
Sehr viel später sagte Nearchos zu demjenigen Mann, der ihm
eine Handvoll Ratschläge (die Nearchos' Leben retten würden)
gegeben hatte:
»Der Abgrund war schon immer da, er besteht zwischen der
Jugend von Alexander und dem Alter von Männern wie mir oder
Kleitos. Es stritten hier Vergangenheit und Zukunft, und der
verfluchte Wein, den sie soffen wie Dromedare, tat das Seine. Kleitos
konnte nicht verwinden, daß der Sohn den Vater überflügelt
hatte, unnennbar weit. Alexander quälte sich tagelang, er
verließ sein Zelt nicht und erniedrigte sich selbst, er sprach
unzusammenhängend und bezeichnete sich immer wieder als »Mörder
meiner Freunde«. Er aß und trank drei Tage lang nichts.
Wir redeten ihm lange gut zu, und endlich besann er sich. Er selbst
war sein grausamster Richter, er lebte mit seiner Schande weiter.
Entschuldigungen, die wir für ihn fanden, lehnte er halbherzig
ab. Die Soldaten? Sie wußten, daß sie unter Alexanders
mitreißender Führung in fünf Jahren mehr gesiegt
hatten als zwanzig Jahre lang unter dessen Vater.
Kurze Zeit danach, und mein Feldherr lief immer noch herum wie ein
Schlaftrunkener, brachten die Untergebenen des Spitamenes ihren
Anführer um. Als der Winter begann, schickten sie als
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