PR TB 246 Expedition Ins Totenreich
Sterbenden
fischten?
Im muß es herausfinden, sagte sich Sayla, denn davon hängt
mein Leben ab. Meins und das der anderen. Wo mögen sie jetzt
sein? Noch in dieser grauen Unendlichkeit, oder ergeht es ihnen wie
mir? Durchwandern sie wie ich die Stationen der Vergangenheit,
wiederholen sie.
Das Grau kehrte zurück. Das Gasthaus des Weinenden Gottes und
das Nichts, das im Gefüge der Welt klaffte, verschwanden abrupt
vor Saylas Augen und wichen dem Dunst des grenzenlosen Raumes. Direkt
vor Sayla driftete Con Tom durch das Grau. »Steuerbar«,
hörte sie seine Stimme wie aus weiter Ferne dringen, seine
grollende, rumpelnde Stimme, die sie schmerzhaft laut in Erinnerung
hatte, so daß sie zuerst gar nicht wußte, wer ihr da
etwas zuraunte. »Zusammenkommen... Auswertung... Plangehirn...
Berühren... nicht erinn...« Sayla wollte nach dem Haluter
greifen, doch die unsichtbaren Strömungen in der grauen Sphäre
trieben ihn davon. Was hatte er ihr mitteilen wollen? Daß sie
sich nicht erinnern sollte? Aber warum nicht.?
Sayla stand im Pfandhaus der Leidenschaften. Sie sah den
Wandteppich mit dem stilisierten Abbild der fremden Milchstraße,
zu beiden Seiten die bis zur Decke reichenden Regale aus Marmor mit
den ungezählten Döschen aus Silber, Gold und Elfenbein, in
denen die verpfändeten Gefühle darauf warteten, daß
der Armlose Krarn den Deckel öffnete und sich an ihrer Wärme
und Vitalität labte.
»Endlich!« grollte Rurrgronnom. »Ich befürchtete
schon, Sie hätten unsere Verabredung vergessen.«
»Rurrgronnom!« rief Sayla, während der Armlose
Kram dem Drehbuch der Zeit gehorchte und ein leises Gelächter
anstimmte. »Erinnern Sie sich, Rurrgronnom? An ES, an unser
gemeinsames Sterben, an.«
»Nehmen Sie Platz, Sayla«, sagte der Armlose Krarn.
»Ich bin froh, Sie bei mir willkommen zu heißen.«
Sayla widerstand dem Impuls, dieser Aufforderung nachzukommen. Es
sind nur Worte, hämmerte sie sich ein. Worte, die nicht an mich
gerichtet sind; das ist nicht Krarn. Was ich vor mir sehe, ist ein
Tonband, das die Gestalt des Pfandleihers besitzt, und das Band läuft
am Tonkopf der Zeit vorbei. Eine Aufnahme, die abgespielt wird.
»Ich höre Haß«, raunte die Stimme des
Pfandleihers, »Zorn und Verbitterung. Es gibt so viel Haß
in YANINSCHA und so wenig Liebe. Ich weiß, daß Sie lieben
können, Sayla. Ich weiß, daß.«
Die Frau wandte sich ab und ging mit steifen Schritten zurück
zur Tür. Krarn und Rurrgronnom reagierten nicht. Der Pfandleiher
sprach weiter, als würde sie noch immer am alten Platz stehen.
Er hielt seinen Monolog, wie Rurrgronnom seinen Monolog hielt,
unterbrochen von gespenstischen Momenten des Schweigens, in denen
Sayla glaubte, das leise Echo ihrer eigenen Worte zu hören;
Worte, die sie vor Tagen gesagt hatte. Es war eine groteske Szene.
».Seltsame Wesen habe ich heute zu Gast«, beendete
Krarn seine Rede. Stille folgte, bis der Gurrad den Löwenschädel
drehte und seine Augen einen
Punkt in der Luft fixierten, wo sich Saylas Kopf befunden hätte,
wäre sie wie vor Tagen der Aufforderung, Platz zu nehmen,
gefolgt. »Dieser Ort ist der richtige Ort«, grollte
Rurrgronnom. »Die Angelegenheit betrifft auch Krarn.«
Nein, sagte sich Sayla furchtsam, dieser Ort ist ganz gewiß
nicht der richtige Ort, und diese Angelegenheit betrifft allein mich
und nicht Krarn. Man spielt mit mir. Man wühlt in meiner
Erinnerung und wählt Szenen aus, wie normale Menschen in einem
Fotoalbum blättern und die Schnappschüsse betrachten. ES
hatte recht. Die Seelenfischer sammeln mit ihren psychotronischen
Sonden Informationen. Sie plündern Erinnerungen der Toten; sie
blättern im Fotoalbum des menschlichen Gedächtnisses, und
besonders gut gelungene Aufnahmen reißen sie heraus. Zurück
bleibt eine leere Stelle, das Nichts.
Das ist das Geheimnis!
Davor hat mich Con Torn warnen wollen. Ich darf mich nicht
erinnern. Ich muß das Fotoalbum geschlossen halten, damit man
mir nicht meine Bilder raubt.
»Dabei sind Gefühle so hübsch!« kicherte der
Pfandleiher in diesem Moment. »So schöne Spielzeuge. Hören
Sie nur!«
Wie hypnotisiert starrte Sayla auf das Döschen, das vor dem
Armlosen Krarn auf dem Tisch stand. Die Erinnerung überwältigte
sie. Tränen traten in ihre Augen. Haltsuchend griff sie nach
einem der Regale. Der Deckel des Döschens klappte auf und
enthüllte schwarzes Samt, auf dem eine weiße, pulsierende
Kugel ruhte. Las-Runs eingesperrte Liebe. »Ich liebe dich,
Sayla«, flüsterte
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