PR Tefroder 03 - Die Stadt der tausend Welten
Kalkiges Licht.
»Aber sie treffen uns nicht«, sagte Caadil. »Sie können sich über dem Nechtan nicht orientieren.«
Können wir es?, fragte Rhodan sich. Er blickte über die Schulter. Keine Spur von dem Irrgarten, durch den sie gerade gewandert waren. Das Ende der Seebrücke war viel näher, als er gehofft hatte. Es mochten zwei- oder dreihundert Meter zwischen ihnen und den Kanonen liegen. Zu wenig.
Er schaute direkt in das Abstrahlfeld eines Impulsgeschützes. Die Waffe würde hoch erhitzte Kernplasmastrahlen bündeln, auf über 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen und gerichtet abstrahlen.
Auf sie gerichtet.
Ende und aus.
Der Strahl löste sich aus dem Projektorfeld. Aber statt im selben Augenblick bei ihnen zu sein und den Stoff ihrer Leiber auszulöschen, kroch der Strahl, kroch nicht nur, sondern wand sich und bog sich. Kroch und schlug gegen eine unsichtbare Mauer, teilte sich so, dass eine Hälfte Richtung Himmel fuhr und verschwand, die andere in die Tiefe des Nechtan stürzte, noch einmal emporloderte, dann erlosch.
»Das Nechtan schützt uns«, sagte er. »Gehen wir weiter.«
Caadil setzte den Stab auf, als wanderten sie in einer wirklichen Welt, über ein Eisfeld vielleicht, einen Gletscher, den ein Eisbaumeister genommen und in die Vision einer Geisterstadt verwandelt hatte mit Straßen, die ins Nichts führten, mit Plätzen, deren Enden sich in die Ewigkeit krümmten, mit Brücken über die Zeit und Tunnel durch die unsägliche Leeren nichtiger Gebirge.
Menschenfeindlich. Lebensfeindlich, dachte Rhodan. Dann verbesserte er sich: Nein. Es rettet uns ja das Leben. Nur menschenfremd. Lebensfremd.
Als er das zweite Mal zurückschaute, war von dem Pier nichts mehr zu sehen. Das Eis, durch das sie sich bewegten, bildete keine Wände mehr, sondern befand sich in Turbulenz; als hätte jemand die Nacht in Stücke geschlagen und Milliarden Scherben wirbelten im freien Fall in alle Richtungen.
Das Transzendorium in Caadils Hand leuchtete in dieser vereisten Nacht wie eine Fackel. Rhodan war sich sicher, dass nichts von dem, was er sah, materielle Realität war - nur der Versuch seiner Sinne, die anbrandenden Daten zu deuten.
Finsternis. Sturm. Irgendwann ein fernes Feuer. Rhodan war, als ob sie darauf zurutschten, als ob sie allen Halt verlören - Halt auf welchem Boden denn? Sie bewegten sich lange schon im Bodenlosen.
Für wenige Augenblicke glitten sie hoch über eine Insel hin. Die Insel brannte. Sie brannte, wie Eisen brennt, wie Phosphor im Fleisch brennt, sie brannte bis ins Fundament, glühte und toste, und ihre Ruinen standen in Flammen, so verzehrend, so alles vernichtend und ausmerzend, dass von keiner Stofflichkeit mehr die Rede sein konnte.
Dennoch brannte dort etwas, der Rest von etwas, unauslöschlich, sich selbst eingebrannt.
»Ist das unsere Insel?«, fragte Rhodan.
Caadil schüttelte den Kopf. »Das ist die andere Insel. Techid Hoel. Wir müssen weiter.«
Und weiter ging's. Die Feuerinsel blieb zurück.
Sie stiegen, hoch in die Luft, ein fernes Geheul in den Ohren, die Stürme und Luftwirbel der Atmosphäre unter ihnen.
»Warum mussten wir diese Insel passieren?«, fragte Caadil. Sie klang nah, näher als je. »Wollte man uns abschrecken?«
»Ich glaube, man wollte uns etwas vor Augen führen. Uns eine Lektion erteilen.«
»Welche?«
»Ich bin mir noch nicht sicher.«
Es ging wieder tiefer. Der Wanderstab zog, dirigierte, fand den Weg durch den entstellten Raum, die fremde Dimension über dem Nechtan. Vollkommene, gefrorene Dunkelheit. Dann tauchte vor ihnen ein neuer Lichtschimmer auf wie eine stille Verheißung. Kam näher.
»Das ist Besseriu«, sagte Caadil.
Die Insel entpuppte sich aus der Finsternis wie ein Fabelwesen, schien aus sich heraus zu leuchten. Gelbweißer Strand, übergrüntes Land, grüne Hügel, dazwischen blaue Seen.
Ein unberührtes Paradies. Eine Insel der Seligen, dachte Rhodan. Nur: Wo sind die Seligen dieser Insel?
Das Bild wandelte sich. Je näher sie dem Eiland kamen, desto mehr wich der Eindruck, eine urtümliche Naturlandschaft vor sich zu haben. Wie aus unsichtbaren Nebeln schälten sich hoch in den Himmel ragende Türme; unendlich grazile Gebilde, hier ebenmäßig gerade wie ein vom Himmel gefälltes Lot, dort spielerisch leicht geneigt. Schmale und sich zur Spitze immer weiter verjüngende Türme. Fast allen hafteten unerklärliche Beiwerke an, meist Kugeln oder halbkuglige Schalen aus einem durchscheinenden Stoff,
Weitere Kostenlose Bücher