PR2618-Flucht von der Brückenwelt
sich mit meinen. Wenn dieser Gheucen-Hüter ein wichtiger Mann ist, kann er uns vielleicht mehr über die Fremden sagen und wo wir sie finden können. Und vor allem auch, woher sie wissen konnten, wie man das Tor zum Shath passieren kann.«
»Wir haben bereits eine Befragung begonnen, aber bislang schweigt er. Diese Favadarei können sehr zäh sein.«
»Dann sollten wir wohl alle Möglichkeiten nutzen, die uns zur Verfügung stehen. Hol Veeghum und seine Plauderkammer her. Er mag nicht so gut sein wie Ghoolon, doch bei einem einfachen Favadarei sollte er wohl mit etwas Zeit zum Ziel kommen.«
*
Wasser. Überall nur Wasser. Rings um ihn herum. Wasser.
Wasser, das ihn abschnitt.
Wasser, das ihn einsam machte.
Wasser, das ihn davon abhielt, das zu tun, was er tun musste.
Er hörte den Ruf. Er musste ihm folgen. Er musste ein Gheucen-Hüter werden.
Aber wie? Wie sollte er dem quälenden Ziehen, dem lockenden Gesang nachgeben? Es gab keinen Weg über das Wasser ...
Er sah sich um. Ein einzelner Baum stand auf seiner Insel, der einzige Gefährte in der Einsamkeit.
Er musste sich ein Floß bauen, ja. Aber wie? Verzweifelt wanderte sein Blick über den kahlen Boden.
Eine Axt lag plötzlich in seiner Hand. Mit einem Freudenschrei rannte er auf den Baum zu und holte aus, um einen Ast abzuschlagen. Der Kopf löste sich und flog hinaus ins Wasser.
Eine Säge. Er setzte sie an. Sofort fraß das rostige Metall sich im harten Holz fest. Er zerrte daran, bis die Haut seiner Hände Risse bekam. Die salzige Luft ließ die Wunden brennen.
Er fand einen Hammer. Schlug den Ast damit ab. Das Holz zerbrach. Doch zumindest war die Säge wieder frei.
Er setzte sie erneut an. Doch sie war stumpf, stumpf, stumpf wie sein Geist, der nie fähig gewesen war, ein Werkzeug zu erfassen. Er war eine Schande seiner Art, eine Abnormität, ein Unding.
Weinend kauerte er sich am Fuß des Baumes zusammen.
Das alles hast du nur den Fremden zu verdanken, wisperte es in seinem Kopf. Den Fremden – erinnerst du dich noch an sie? Hast du ihr Bild vor dir?
Mit den Fingern malte der Favadarei das Gefährt in den Sand. Zwei Kreise, der eine oben und unten abgeflacht, der andere kleiner, wie ein Insektenkopf vorne daran befestigt ... und darüber das Netz, das Netz der Kristalle, das sie gezogen hatten.
Wer nur hat es ihnen gezeigt? Wer?
»Das Totenhirn«, murmelte der Favadarei. »Das Totenhirn ...«
Plötzlich kehrte die Erinnerung zurück.
Er war Lonmu Qavalon. Lonmu Qavalon, der Gheucen-Hüter. Er war dem Ruf längst gefolgt und hatte seine Berufung gefunden. Er war keine Schande, er war ...
Schlagartig wurde es dunkel um ihn. Panik überkam den Favadarei für einen Moment, als er spürte, wie alle Berührung schwand. Er schwebte in völliger Dunkelheit, unfähig, sich vom Fleck zu bewegen. Im nächsten Moment erinnerte er sich: das Gerät, zu dem sie ihn geschleppt hatten – ein von einer mattblauen Halbkugel gekrönter bauchiger Zylinder, grau wie ein Regentag und fast doppelt so hoch wie er selbst. Dort, wo das Gebilde am stärksten ausgebeult gewesen war, hätte er sogar quer hineingepasst. Aber er war fast sicher, dass er senkrecht schwebte.
Diente die Halbkugel dazu, diese Bilder in seinem Kopf zu erzeugen?
Ein sanftes Säuseln drang in seinen Geist.
Schon wieder herausgeglitten. Warum bist du nur so stark ... Es könnte alles viel schneller gehen, wenn du dich einfach öffnen und alles sagen würdest, was du weißt. Sag es mir. Ich bin Veeghum, dein Freund. Der einzige Freund, den du noch hast. Vertrau mir. Ich will dir helfen.
Der Favadarei atmete durch. Ruhe breitete sich in ihm aus.
»Ich bin Lonmu Qavalon, Gheucen-Hüter von Amgheuc. Das ist alle Wahrheit, die es gibt, und alles, was zählt. Ich kann dir nicht mehr sagen.«
Bedauerlich ... Aber denk daran, ich höre dich zu jeder Zeit. Ich kann dein Freund sein und dich befreien, wenn du es nur willst. Du musst es nur sagen.
Schlagartig stand Lonmu Qavalon wieder auf der Insel. Heiß brannte die Sonne auf ihn herab, und es gab keinen Baum mehr, der Schatten spendete. Nur noch die Trümmer eines Stammes und überall verstreute Splitter zeugten davon, dass es ihn jemals gegeben hatte. Es gab keinen Schutz, keinen Halt.
Wasser berührte Lonmus Fußspitzen, kroch an den Vierfüßen aufwärts zu den Knien. Er spürte den Sog, spürte die Strömung, die ihn wegzerren würde in die Unendlichkeit, in das Nichts, das Nicht-Sein, das Nie-Gewesen-Sein ...
Das Wasser
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