Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
Sommerzeit.« »Meinst du, so was gibt es da?«, konterte ich mit einer gewissen Bitterkeit.
In den folgenden Wochen rangen wir der Situation eine ganze Menge hohles Gelächter ab, indem wir den Leuten bei jeder sich bietenden Gelegenheit erzählten, dass wir nach Sibirien geschickt wurden.
Wir redeten nur noch darüber, wie wir uns warm halten konnten. Wir kauften Thermounterwäsche – sobald wir das Geschäft für superwarme Unterhosen betraten, sank das Durchschnittsalter dort auf ein Viertel des ursprünglichen Werts – und diskutierten leidenschaftlich über das Für und Wider von Pelzmänteln, eine Debatte, die abrupt abbrach, als wir entdeckten, wie viel ein Pelzmantel kostet.
Dann kam die Nachricht: Plan geändert! Wir wurden doch nicht nach Sibirien geschickt! Stattdessen sollten wir andere Gegenden Russlands besuchen, auch alle ziemlich kalt, aber nicht ganz so kalt wie Sibirien. Nun kamen wir echt in Verlegenheit, denn wegen unserer faszinierenden Gulag-Geschichte waren wir jeden Tag woanders zum Dinner eingeladen gewesen. Aber nun war unsere Glaubwürdigkeit dahin.
Erster Tag
In furchtbar viele Klamottenschichten gehüllt, landeten wir in Moskau. Bei der Einreise ärgerte ich mich ziemlich darüber, wie schnell sie uns durchschleusten. Und das sollte Russland sein!? Ich wollte Schlange stehen, ich wollte das authentische Erlebnis.
Draußen in der bitteren Kälte mit Schneeregen in der Luft und Schneematsch unter den Füßen, trafen wir Walja, unsere Reiseführerin /Gouvernante. Sie hatte ein frisches Gesicht, blaue Augen und blonde Haare, die über den Ohren Wirbel bildeten. Kaum hatten wir Hallo gesagt, erzählte sie uns auch schon, dass ihr Mann sie gerade
verlassen hatte. Gott, ich liebe die Russen. Ich liebe sie! Sie erzählen einem alles . Wenn sie unglücklich sind, leben sie das mit Temperament, Stil und Leidenschaft aus. Während wir unsere Koffer im Auto verstauten, erklärte mir Walja, dass ihr Leben nun zwar keinen Sinn mehr habe, dass sie sich aber trotzdem um uns kümmern würde.
Unser Fahrer, Boris, sollte uns ins Zentrum von Moskau bringen, und er sah so traurig aus, dass es schon beinahe komisch wirkte. Er hatte einen breiten Clownsmund mit nach unten gebogenen Mundwinkeln. Seine Freundin habe ihn gerade verlassen, erklärte uns Walja. Nach einem kurzen Wortwechsel auf Russisch enthüllte sie uns des Weiteren, dass es wegen eines jüngeren Mannes dazu gekommen war. Erneut ein Gesprächsschwall. Der jüngere Mann war auch noch Boris’ Bruder.
Ich spürte, dass der Augenblick günstig war für einen Kuppeleiversuch. »Käme der verlassene Mann denn eventuell als Ersatz für Ihren Ehemann in Frage?«, fragte ich Walja.
Sie musterte Boris und verzog den Mund. »Er ist beim Sex nicht so gut.«
»Aber woher wissen Sie das denn?«
»Deshalb hat sein Mädchen ihn verlassen. Er trinkt zu viel. Er macht das Bett nass.«
Na ja, wenn das so ist …
Wir konnten nur vier Stunden in Moskau bleiben, bevor wir in den Nachtzug Richtung Osten steigen mussten, gerade genug Zeit, um zu entdecken, dass es auf dem Roten Platz einen Chanel-Shop gab (Lenin drehte sich bestimmt wie ein riesiger Kebab im Grab um), und um zweimal von Militärpolizisten angehalten zu werden, die sich unsere Papiere ansehen wollten. Alle reden immer davon, wie grau und grimmig Russland ist, aber auf dem Roten Platz steht die Basilius-Kathedrale, das schönste Gebäude, das ich jemals
gesehen habe. Wie etwas, wovon man auf einem guten LSD-Tripp träumt: Türmchen und Spitzen und Zwiebeldächer, wie Eistüten in den prächtigsten Karnevalsfarben. Die Kirche wurde von Iwan dem Schrecklichen in Auftrag gegeben, der davon so angetan war, dass er dem Architekten die Augen ausstechen ließ. (Damit er für niemand anderes je wieder eine Kathedrale bauen konnte – ein echter Respektsbeweis, der Mann war garantiert begeistert.)
Beim Abendessen in einer verrauchten Möchtegern-Brasserie versuchte Walja die ohrenbetäubende Technomusik zu übertönen, um uns noch etwas mehr über ihren weggelaufenen Ehemann zu erzählen.
»Vielleicht kommt er zurück«, brüllte ich hoffnungsvoll.
»Nein, er kommt bestimmt nicht zurück«, entgegnete sie nüchtern mit ihrer wunderhübschen russischen Mischung aus Ehrlichkeit und Pessimismus. Walja war einfach sagenhaft. (Und ein kleines bisschen verrückt, wie es sich für eine Frau gehört, die gerade von ihrem Ehemann verlassen worden ist.) Ich fand sie toll. In Gesellschaft leicht
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