Pralinen im Bett: Schuhdiebe, Mutterliebe, Seitenhiebe und weitere Tücken des Alltags (German Edition)
Schamhaare?«, kann ich das natürlich nicht tun. Ich sollte es einfach wissen. Und was, wenn sie inzwischen Kinder bekommen haben? Eine vage Halberinnerung taucht in meinem Kopf auf, dass wir irgendwann einmal ein Foto eines etwas zerbeult wirkenden Neugeborenen zugeschickt bekommen haben, zusammen mit einer Karte, auf der stand: »Die Welt heißt Baby Agatha willkommen.« Oder war es Baby Tariq? Herr des Himmels … Haben die sich nicht vor kurzem einen Hund angeschafft? Angesichts derart undurchsichtiger Verhältnisse entdeckte ich, dass für gewöhnlich
eine Allroundformulierung wie »Hoffentlich geht es dir und den Deinen gut« ausreicht.
Weit schwieriger ist es, den richtigen Ton zu treffen – die Botschaft herzlichen Wohlwollens rüberzubringen, damit der Empfänger den Umschlag mit einem Lächeln öffnet und sagt: »Oh, die Karte ist von Marian. Ist sie nicht ein Schatz?« ABER – und das ist wirklich ein sehr großes Aber – den richtigen Ton zu treffen, ohne dabei so kumpelhaft zu wirken, dass es zu spontanen Telefonanrufen kommt, bei denen nach über einem Jahrzehnt der Trennung plötzlich ein gemeinsamer Ausgehabend arrangiert wird.
Und so denke ich dann mit schlechtem Gewissen: Wäre es so schlimm, wenn ich dieses Jahr keine Karten verschickte …? Wer würde eine Karte von mir denn vermissen, wo jeder doch so viele bekommt …?
Das ist die Lösung! Die Entscheidung ist gefallen! Mit leichtem Herzen verkünde ich meinem Herzallerliebsten: »Dieses Jahr verschicke ich keine Weihnachtskarten. Reine Zeitverschwendung.«
»Gut«, lobt er mich. »Du hast sowieso schon so viel um die Ohren.« Ich mustere ihn aufmerksam, um zu sehen, ob er das sarkastisch meint. Weil ich nicht sicher bin, gehe ich lieber wieder weg. Wobei ich denke: Aber ich mag Soundso wirklich, das heißt zwar nicht, dass ich sie unbedingt sehen will, aber ich möchte nicht, dass der Kontakt ganz abbricht. Aber wenn ich ihr eine Karte schicke und ihrer Schwester keine, dann fühlt die sich vor den Kopf gestoßen, was ja auch verständlich wäre, und ich möchte nicht, dass sie denkt, ich hätte …
Das Haus ist erfüllt von den Nichtvorwürfen meines Herzallerliebsten. Dass er am Tisch sitzt und systematisch eine Karte nach der anderen adressiert und an sämtliche Menschen schreibt, denen er jemals begegnet ist, heißt nicht unbedingt, dass er mich verurteilt, weil ich keine verschicke.
Trotzdem wächst mein schlechtes Gewissen. Wächst und wächst …
Manche Leute umgehen die Hölle des Kartenschreibens, indem sie einen so genannten »Rundbrief« verfassen, einen gedruckten Text in nachgemachter Handschrift … so ungefähr. Für gewöhnlich beginnen sie mit: »Hallo, liebe Freunde«. Oder eher mit: »Hallo, liebe Freunde«. Und dann erzählen diese Menschen von all den sagenhaften Dingen, die sie im letzten Jahr erlebt haben, unter Erwähnung einer Unzahl mir nicht bekannter Namen. Im Juni haben Lacey, Cain und ich einen Jin Shin Jyutsu Workshop gemacht! Wir laufen immer noch ein bisschen komisch. Und ich denke: Wer ist Lacey? Und Cain? Was ist Jin Shin Jyutsu? Solche Briefe enden immer mit etwas in der Art wie: Liebe, Licht und herzliche Segenswünsche für euch und eure Lieben, mit dem Subtext: »Wer immer ihr auch sein mögt.«
Offensichtlich ist das eine ganz gute Idee … Ich könnte etwas auf dem Computer zusammenschreiben, hundert Kopien machen und sie abschicken. Allerdings müsste ich trotzdem noch die blöden Umschläge adressieren, da ich das mit den gedruckten Adressaufklebern einfach nicht gebacken kriege. Das Problem mit den langen Adressen à la Traveller’s Rest bliebe also ungelöst.
Jedenfalls sind solche Episteln mir irgendwie unheimlich, zu unpersönlich und … zu amerikanisch. Trotz meiner Vorbehalte gegen das Schreiben von Weihnachtskarten ziehe ich es immer noch vor, von Hand eine persönliche Botschaft zu verfassen. Selbst wenn es auf jeder Karte dieselbe ist. Selbst wenn es darin jedes Mal heißt: »Dieses Jahr müssen wir es aber wirklich« – das »wirklich« dick unterstrichen – »schaffen, uns zu treffen!«
Schließlich trudelt die erste Karte der Saison mit der Post ein, und darauf steht: »Dieses Jahr müssen wir es aber wirklich« – dick unterstrichen – »schaffen, uns zu treffen.« Und ich mag die Person,
die die Karte abgeschickt hat – wenn auch nicht genug, um sie mal zu besuchen. Deshalb denke ich, ich schicke einfach eine Karte als Antwort zurück. Dann kommen die
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