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Pretty - Erkenne dein Gesicht

Pretty - Erkenne dein Gesicht

Titel: Pretty - Erkenne dein Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Westerfeld
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die Hüfte band und sich den Rucksack auf die Schultern lud. Es hatte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wo die anderen sein mochten, sie konnte nur zu den Ruinen wandern und sich darauf verlassen, dass irgendwer sie dort erwartete.
    Einen anderen Ort, zu dem sie gehen könnte, gab es für Tally nicht.
    ***
    Der Weg durch den Waid war schwierig, jeden Schritt musste sie sich erkämpfen. In Smoke war Tally fast immer mit dem Hubbrett unterwegs gewesen. Und wenn sie zu Fuß hatte gehen müssen, dann auf Pfaden, die sie zwischen den Bäumen frei gehackt hatten. Aber das hier war die raue Natur, feindselig und erbarmungslos. Das dichte Unterholz riss an ihren Fü ßen, als wolle es sie zu Fall bringen, es warf dickes Gestrüpp und knöchelverdrehende Wurzeln und undurchdringliche Dornenwände in ihren Weg.
    In den Bäumen hing die Nässe wie ein Echo der Regengüsse. Auf den Fichtennadeln funkelte Reif, den die Sonne langsam in Wasser verwandelte, was einen Dauerregen aus kaltem, glitzerndem Dunst ergab. Es war wie ein prachtvoller Eispalast, wo Speere aus Sonnenlicht zwischen den Bäumen einherschossen und wie Laserstrahlen durch Rauch im Nebel sichtbar wurden. Aber wann immer Tally es wagte, einen Zweig zu berühren, dann entlud er über ihrem Kopf eine Ladung eiskalten Wassers.
    Sie dachte daran, wie sie damals auf dem Weg nach Smoke durch den alten Wald gewandert war, den die Rusties mit ihrem gezüchteten Unkraut verwüstet hatten. Aber immer hin war es leichter gewesen, durch jenes ausgedünnte L and zu kommen als durch diesen dichten Pflanzenwuchs. Manchmal konnte man fast verstehen, warum die Rusties sich so viel Mühe gegeben hatten, die Natur zu zerstören.
    Die Natur konnte ganz schön nervig sein.
    Mit jedem Schritt kam Tally ihr Kampf mit dem Wald immer persönlicher vor. Die klammernden Zweige schienen sich in eine bestimmte, von ihnen festgelegte Richtung treiben zu wollen, egal was Tallys Positionsfinder auch sagte. Das dichte Unterholz öffnete sich freundlich und bot leicht begehbare Wege an, die sie weit von ihrem Kurs wegführten. Geradeaus zu gehen war unmöglich. Das hier war Natur, keine Super straße der Rusties, die sich ohne irgendeine Rücksicht auf das Terrain durch Berge und Wüsten fraß.
    Aber im Laufe des Nachmittags kam Tally langsam zu der Überzeugung, dass sie doch einem Pfad folgte, wie einem der Naturwanderwege, die die Prä-Rusties ein Jahrtausend zuvor benutzt hatten.
    Ihr fiel ein, was David ihr in Smoke erzählt hatte, dass nämlich die meisten Prä-Rusty-Wege von Tieren stammten. Auch Rotwild, Wölfe und wilde Hunde wollten sich nicht durch den Urwald kämpfen müssen. Wie die Menschen hielten sich Tiere über Generationen hinweg an dieselben Wege und schlugen damit Schneisen in den Wald.
    Natürlich hatte Tally sich immer vorgestellt, dass nur David solche Tierwege sehen konnte. Da er in der Wildnis aufgewachsen war, war er fast schon selber ein Prä-Rusty. Aber als die Schatten um sie herum länger wurden, stellte Tally fest, dass der Pfad offener und gerader wurde, als sei sie auf irgendeinen unheimlichen Riss in der Wildnis gestoßen.
    Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus. Die Geräusche der tropfenden Bäume spielten ihren Sinnen Streiche, und Tallys Nerven waren angespannt, als ob sie beobachtet würde.
    Es war wohl einfach nur ihre perfekte Pretty-Sicht, die ihr half, die versteckten Spuren der Tiere zu erahnen. Sicher hatte sie in Smoke Fähigkeiten erworben, von denen sie bisher nichts gewusst hatte. Das hier war eine Tierfährte. Menschen lebten doch bestimmt nicht hier draußen. Nicht so dicht bei der Stadt, wo die Specials sie schon vor Jahrzehnten entdeckt hatten. Auch in Smoke hatte niemand von anderen Lebensgemeinschaften außerhalb der Städte gewusst. Die Menschheit hatte vor zwei Jahrhunderten beschlossen, die Natur in Ruhe zu lassen.
    Allein. Das sagte Tally sich immer wieder. Außer ihr war hier niemand. Doch seltsamerweise war sie nicht sicher, ob sie es wirklich weniger unheimlich fand, der einzige Mensch im Wald zu sein.
    Als sich der Himmel rosa färbte, beschloss Tally endlich eine Pause zu machen. Sie fand eine Lichtung, auf die den ganzen Tag die Sonne geschienen hatte, so dass es vielleicht genug trockenes Holz für ein Feuer geben würde. Bei ihrem brutalen Marsch war sie ins Schwitzen geraten - das Hemd klebte ihr am Leib und ihre Jacke hatte sie nicht gebraucht - aber nach Sonnenuntergang würde es sofort

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