Pretty Little Liars - Vogelfrei: Band 8
verzerrte Erinnerung an eine blonde Gestalt auf. Ein Mädchen hatte sich über ihr Bett gebeugt und gemurmelt: »Es geht mir gut. Ich bin okay.« Aber sie hatte immer geglaubt, das Mädchen sei …
Sie blinzelte ungläubig. »Ali?«
Das Mädchen neben ihr nickte und breitete theatralisch die Arme aus.
»Was?« Hannas Herz begann zu rasen. »Wie?«
Ali erzählte ihre Geschichte. Hanna schnappte beinahe nach jedem Satz nach Luft und traute ihren Ohren kaum. Sie starrte auf die Fußgänger auf der Fifth Avenue. Eine Frau schob einen Silver-Cross-Kinderwagen und plapperte in ein Motorola-Droid-Handy. Ein schwules Pärchen in aufeinander abgestimmten John-Varvatos-Lederjacken führte eine Französische Bulldogge spazieren. Einen Moment lang war es für Hanna unfassbar, dass sie alle ihr alltägliches Leben weiterführten, wo doch gerade die ganze Welt auf dem Kopf stand.
Ali nahm Hannas Hände in die ihren. »Hanna, ich habe dich noch nie für eine Versagerin gehalten. Und schau dich doch mal an.« Sie lehnte sich zurück und deutete auf Hannas Frisur und ihr Outfit. »Du bist wunderschön.«
Hannas Haut kribbelte. In der sechsten Klasse hatte sie sich neben Ali wie das Michelin-Männchen gefühlt, mit ihrem schlaffen Bauch und der Zahnspange, die ihre Wangen dicker wirken ließ. Ali hatte immer makellos ausgesehen – egal, ob sie nun ihre Feldhockeyuniform oder ihr weißes Partykleid trug. Hanna hatte sich jahrelang gewünscht, sie könne Ali ihr neues Ich zeigen und ihr beweisen, dass sie auch fantastisch sein konnte.
»Danke«, flüsterte sie. Sie war so benebelt, als sei sie in einem Traum gefangen.
»Wir beide verdienen es, die Schule zu regieren, Hanna.« Alis Augen blickten plötzlich eiskalt, aber der Moment war so schnell wieder vergangen, dass Hanna sich fragte, ob sie es sich nur eingebildet hatte. »Nicht deine Stiefschwester. Und vor allem nicht Naomi und Riley. Wir müssen etwas dagegen tun. Weißt du auch, was?«
»W-was?«, stammelte Hanna.
Ein schelmisches Lächeln erschien auf Alis Gesicht und plötzlich war sie ganz die Alte – die unwiderstehliche, bezaubernde Ali, die alles unter Kontrolle hatte. Sie stand von der Treppe auf und winkte einem Taxi. Es hielt sofort neben ihr an. Ali stieg ein und winkte Hanna zu sich. Die schob sich neben sie auf die Rückbank.
»Penn Station«, sagte Ali zu dem Fahrer und knallte die Tür zu. Dann wendete sie sich wieder Hanna zu. »Wir lassen die Miststücke einfach sitzen«, sagte sie. »Und dann machen wir sie fertig.«
Kapitel 15
DER KRUG GEHT SO LANGE ZUM BRUNNEN …
Am späten Donnerstagabend stand Aria in ihrem Zimmer in Byrons neuem Haus und begutachtete das rote Fransenkleid aus Seide im 20er-Jahre-Stil, das sie für den Valentinsball gekauft hatte. Würde Noel sie darin stylish finden … oder nur verrückt?
Plötzlich erregte eine Bewegung vor dem großen Schlafzimmerfenster ihre Aufmerksamkeit. Eine Gestalt joggte am Haus vorbei, ihr graziler Körper wurde durch die bernsteinfarbene Straßenlaterne beleuchtet. Aria erkannte den pinkfarbenen Anorak, die schwarzen Jogginghosen und das blonde Haar, das unter eine silberne Wollmütze gestopft war. Spencers Schwester Melissa joggte jeden Nachmittag durch die Straßen von Arias Viertel.
Aber nie nachts. Arias Herz begann schneller zu schlagen, als ihr einfiel, wie Melissa gestern vor Courtneys Haus herumgelungert hatte. Sie bekam ein ungutes Gefühl. Schnell zog sie ein Sweatshirt über, zog ihre Ugg-Boots an und ging nach draußen.
Die Nacht war windstill und eiskalt. Ein fetter, aufgequollener Mond hing am Himmel, die Häuser ragten riesig und imposant neben ihr auf und die meisten Bewohner hatten
bereits ihre Verandalichter für die Nacht ausgeschaltet. Es roch immer noch leicht nach verkohlter Erde von dem Feuer und Aria erkannte verbrannte Baumstümpfe im Wald. Am Ende der Straße blitzte das Reflektorband von Melissas Turnschuhen auf und Aria rannte los und folgte ihr in sicherer Entfernung.
Melissa lief an dem großen holländischen Kolonialhaus vorbei, dessen Besitzer die Vorderveranda je nach Jahreszeit mit verschiedenen bunten Flaggen schmückten, an dem riesigen steinernen Bauernhaus mit dem künstlich angelegten Ententeich im Hintergarten und dann an dem ausladenden Cape-Cod-Haus, in dessen Vorgarten ein Schrein errichtet worden war. Wir werden dich vermissen, Ian, hatte jemand mit Ringelblumen geschrieben. Jetzt, wo alle Ian für unschuldig – und für tot – hielten, hatten die
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