Pretty Little Liars - Vollkommen
Emily.
»Maya!« Emily ließ die Blume eilig auf ihren Schoß gleiten. »Du darfst hier keine Blumen abschneiden!«
»Pf, mir egal«, erwiderte Maya trotzig. »Ich will dir eine Blume schenken, also schenk ich dir eine.«
»Maya!« Emily schlug sich mit den Händen auf die Oberschenkel. »Geh jetzt bitte.«
Maya sah sie wütend an. »Du nimmst ernsthaft an diesem Tree-Tops-Quatsch teil?« Als Emily nickte, stöhnte Maya auf. »Ich habe dich für stärker gehalten. Das Ganze klingt doch gruselig.«
Emily zerknüllte ihre Chipstüte. Das hatten sie doch schon alles durchgekaut. »Wenn ich den Kurs nicht mache, schicken sie mich nach Iowa, und das stehe ich nicht durch. Meine Tante und mein Onkel sind total verrückt.
Sie schloss die Augen und dachte an ihre Tante, ihren Onkel und ihre drei Cousins und Cousinen in Iowa. Sie hatte sie seit Jahren nicht gesehen, und wenn sie versuchte, sie sich vorzustellen, sah sie nur fünf missbilligende Gesichter. »Bei meinem letzten Besuch hat meine Tante mir eingetrichtert, ich sollte Cheerios und zwar ausschließlich Cheerios zum Frühstück essen, weil die den Sexualtrieb unterdrücken. Meine zwei Cousins mussten
jeden Morgen um die Maisfelder joggen, um ihre sexuelle Energie zu verbrauchen. Und meine Cousine Abby, die so alt ist wie ich, wollte damals Nonne werden. Wahrscheinlich ist sie inzwischen eine. Sie schleppte ständig ein Notizbuch mit sich herum, das sie ›Abbys kleines Buch des Bösen‹ nannte. Sie schrieb alles auf, was sie für eine Sünde hielt. Bei meinem Besuch hat sie dreißig Einträge über mich gemacht. Sie hielt sogar Barfußlaufen für eine Sünde!«
Maya kicherte. »Na ja, stimmt vielleicht für Leute mit besonders grässlichen Füßen.«
»Das ist nicht witzig!«, fauchte Emily. »Hier geht es nicht darum, ob ich stark bin oder Tree Tops für richtig halte oder zu mir selbst stehen kann. Ich will dort nicht hinziehen und damit basta!«
Emily biss sich auf die Lippe. Ihr wurde höllisch heiß, und sie wusste, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde. Seit zwei Tagen wurde sie von ihrer Familie keines Blickes gewürdigt. Beim Abendessen richteten sie kein Wort an sie. Emily fühlte sich nicht einmal mehr auf der Couch vor dem Fernseher willkommen. Seit dem Wettkampf hielt sich Carolyn kaum noch in ihrem gemeinsamen Zimmer auf. Normalerweise machten die Schwestern ihre Hausaufgaben zusammen und unterhielten sich dabei leise über Matheaufgaben und Geschichtsaufsätze oder tauschten Schultratsch aus. Gestern Abend war Carolyn erst nach oben gekommen, als Emily bereits im Bett lag. Sie hatte sich im Dunkeln umgezogen und war ohne ein einziges Wort in ihr Bett geschlüpft.
»Meine Familie wird mich nicht mehr lieben, wenn ich homosexuell bleibe«, erklärte Emily und starrte in Mayas runde grüne Augen. »Stell dir mal vor, deine Familie würde eines Tages einfach entscheiden, dass sie dich von nun an hasst.«
»Ich will nur mit dir zusammen sein«, murmelte Maya und drehte die Rose zwischen den Händen.
»Würde ich auch gerne«, antwortete Emily. »Aber es geht nicht!«
»Wir könnten uns heimlich treffen«, schlug Maya vor. »Ich gehe morgen auf Mona Vanderwaals Party. Wir könnten uns dort sehen. Dann schleichen wir uns davon und suchen uns ein ruhiges Plätzchen.«
Emily kaute an ihrem Daumennagel. Sie wünschte, das wäre so einfach, aber Beckas Worte verfolgten sie. Das Leben ist schwer genug. Warum sollte man es sich noch schwerer machen? Gestern hatte sich Emily in ihrer Freistunde bei Google eingeloggt und die Frage Ist es für Lesben besonders hart ? in die Suchzeile getippt. Schon das Wort Lesbe einzugeben, fiel ihr schwer, und es kam ihr komisch vor, dass dieser Begriff auf sie zutreffen sollte. Er gefiel ihr als Wort nicht und erinnerte sie aus unerfindlichen Gründen an den Reispudding, den sie verabscheute. Alle Links auf der Liste führten zu blockierten Pornoseiten. Aber womöglich war es auch nicht so clever, die Worte Lesben und hart in dieselbe Suchmaske einzugeben.
Emily spürte Blicke auf sich ruhen. Sie drehte sich suchend um und schielte durch die Ranken. Carolyn und ein paar Mädchen aus der Schwimmmannschaft saßen bei
einer Drillingsblume und ihre Schwester starrte sie und Maya mit angewiderter Miene an.
Emily sprang auf. »Geh bitte, Maya. Carolyn kann uns sehen.«
Sie machte ein paar Schritte zur Seite und tat so, als sei sie von einem Kübel mit Ringelblumen fasziniert. Maya blieb bewegungslos sitzen.
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