Price, Richard
ein Foto von ihm schoss.
Als der Mann Tyrone schließlich von seinem
Frisierumhang und der zu festen Halskrause befreite, musste Strike dem Jungen
vom Stuhl helfen; es kam ihm vor, als hebe er einen Fahrgast nach der Fahrt aus
der Achterbahn.
Und während Strike auf sein Wechselgeld wartete, sah
er, wie der Junge einen Blick auf das Sofortbild warf, sah Tyrone dabei zu, wie
er Gestalt annahm, mit Sternchen in den Augen, ernst, hübsch, neu.
»Na, wie ist das?«, fragte Strike gereizt über das Dach
des Accord hinweg.
»Gut«, murmelte Tyrone und tätschelte seinen Kopf.
»Du siehst sauber aus.« Strike wartete auf eine Reaktion.
Nichts. Er riss die Tür auf und glitt hinein, ließ Tyrone draußen vor der verschlossenen
Beifahrertür stehen, verärgert darüber, dass sich das verdammte Balg nicht mal
bedanken konnte.
Sie fuhren schweigend den West Side Highway hinab, und
die halbe Fahrt über war Strike wütend über die Undankbarkeit des Jungen, bis
er sah, wie Tyrone sich selbst im Außenspiegel betrachtete, um seinen neuen
Haarschnitt zu begutachten, dann seinen Blick wieder starr geradeaus richtete,
ein weiteres Lächeln unterdrückte und sich sehr bemühte, nicht zu blinzeln.
Strikes Ärger ließ ein wenig nach, als er sah, dass das Kind das Gefühl hatte,
seine Freude verbergen zu müssen, und sie versteckte, als handle es sich um
eine Unze Kokain.
Nachdem sie Midtown passiert hatten, fuhr Strike
hinüber zur Seventh Avenue, und als sie sich Greenwich Village näherten, kamen
sie an verstreuten Gruppen von Leuten vorbei, die mit Einkaufstüten in der Hand
am Straßenrand standen und heftig miteinander konkurrierten, ein freies Taxi
heranzuwinken.
Tyrone bemerkte ihre Gesten und die abgehärmten
Gesichter und begann in einem hohen, sanften Singsang zu summen: »Sieg Heil,
Sieg Heil, Sieg Heil.« Das war das Erste, was er seit Harlem gesagt hatte.
»Was meinst du?«, fragte Strike mit hochgezogenen
Augenbrauen. »Hitler. Die sehen so aus, als würden sie >Sieg Heil, Sieg
Heil< machen.«
»Hitler, woher weißt du was über Hitler?«
»Aus der Schule«, antwortete er und wandte sich von
Strike ab. »Und von meiner Mutter.«
Strike hielt bei einem Hotdog-Stand an einem
überfüllten Abschnitt des Broadways oberhalb von Soho.
»Hast du
Hunger?« Er gab dem Jungen einen Fünf-Dollar-Schein. »Hol mir ein Yoo-Hoo.«
Tyrone
kehrte mit einem Vanille-Yoo-Hoo zum Wagen zurück. Er hatte einen Hotdog mit
Ketchup und eine Dose Orangenlimo für sich dabei, aber weil ihm von dem Geruch
übel wurde, ließ Strike Tyrone auf die gleiche Art essen, wie er ihn sich
hatte die Zähne putzen lassen. Wieder bedankte der Junge sich nicht, aber
nachdem er seinen Hotdog aufgegessen, sich das Gesicht abgewischt und den Müll
- zusammen mit Strikes leerem Yoo-Hoo - zu einem Mülleimer gebracht hatte, gab
er ihm die zwei Dollar fünfzig Wechselgeld zurück, ohne darum gebeten worden zu
sein. Strike fragte sich, was er mit diesem Jungen anstellen würde, spürte
jetzt selbst einen Anflug von Freude und verbarg sie hinter einem finsteren
Gesichtsausdruck, als er auf die rattigen Turnschuhe des Kindes heruntersah.
»Was, zum
Teufel, hast du denn da an den Füßen?«
Tyrone sah
hinab.
»Verdammt,
sind das Füße oder Hufe?«
Strike
brachte ihn zum Foot Locker, wo die neuesten Turnschuhmodelle wie halbe
Modellschiffsrümpfe auf den Plexiglasregalen ruhten. Strike ließ seinen Blick
durch den Raum schweifen und verspürte einen Anflug von Gier - sammel alle!
Er wandte
sich an Tyrone. »Welche willst du?«
Tyrone
besah sich alles und sprach dann in die Luft. »B.K's, High Tops, weiß mit
hellgrauem Besatz.«
Als der
Verkäufer Tyrones Fuß in die metallene Maßklammer setzte, zog der Junge die
Kapuze seines Sweatshirts über, zog hart an den Strippen und senkte den Kopf.
Strike
setzte sich neben ihn und unterdrückte erneut seine Verärgerung. Nie zuvor war
er auf eine derartige Kombination aus gleichsam gelähmter Schüchternheit und
unbewusstem Undank gestoßen. Die Turnschuhe kosteten neunundsechzig Dollar und
fünfundneunzig Cent, aber der Junge blinzelte nicht mal, als glaube er, ihm
stünde das alles zu. Strike warf Tyrone, der sich in seiner Kapuze verbarg,
einen wütenden Blick zu, sah die Zahnpastatube wie eine Puppe oder ein Kuscheltier
aus dem Sweatshirt ragen und ließ seinen Ärger verklingen, dachte, dass ihn
vielleicht noch nie jemand gefragt hatte, welche Schuhe er haben wollte.
Vielleicht hatte er keine
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