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Price, Richard

Price, Richard

Titel: Price, Richard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clockers
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parfümiertem Haaröl von der Art, das in den Händen des Friseurs
weiß aufschäumte, bevor er es einem in die Haare schmierte, wenn man ihn ließ.
Der Laden wurde von einem achtzigjährigen glatthaarigen Puerto-Ricaner und
seinen drei glatthaarigen Enkeln geführt, aber Afrohaar schnitten sie ebenso
gut. Strike kam selber zum Haareschneiden hierher, weil er einmal ein altes
Foto von einem italienischen Gangster gesehen hatte, der in einem Frisierstuhl
erschossen worden war, und die Vorstellung, sich seine Haare in einem Laden
schneiden zu lassen, wo die Leute ihn seiner Geschäfte wegen kannten, gefiel
ihm nicht.
    Die vier Friseure waren alle beschäftigt, und Strike
schob Tyrone zu einem rosafarbenen Plastikstuhl und setzte sich neben ihn.
Ihnen gegenüber saß ein Typ mit wahrscheinlich im Knast antrainierten
Muskelpaketen, der an einer Goldkette einen Christuskopf mit Rubinaugen trug.
    In dem der Tür am nächsten gelegenen Frisierstuhl saß
ein Junge, vielleicht elf oder zwölf - jedenfalls in Tyrones Alter. Der Junge
wurde von zwei älteren Freunden flankiert, dürren Jungs in ausgebeulten
genieteten Baumwollhosen, die jeden Schnitt mit der Schere lauthals
kommentierten. In ein blaues Trikotlaken gehüllt, blickte der Junge düster in
den Spiegel, während seine beiden Freunde seinen Schädel befingerten und sich
darüber stritten, welcher Schnitt der Richtige wäre. Der alte Friseur trat
einen Schritt zurück, damit sie sich einig wurden, erkannte Strike und
zwinkerte ihm zu.
    »Siehst du irgendwas, was dir gefällt?« Strike nickte
zu einer Tafel mit Frisuren, die an der hinteren Wand über dem Stuhl mit dem
Ex-Knacki hing, fünfzig Sofortbildporträts von ernst blickenden Kunden aus dem
letzten Jahr. Tyrone zuckte mit den Schultern, weigerte sich, hinüberzugehen,
um besser sehen zu können, und wieder spürte Strike seine Verärgerung über die
Gleichgültigkeit des Jungen.
    »entschuldigt,
brüder!«
    Beide
sprangen sie bei dem plötzlichen Gebrüll auf. Ein junger Schwarzer in einem
Anzug und sauberem weißem Hemd stand in der Tür; bebrillt und ziegenbärtig sah
er aus wie der Geist von Malcolm X.
    »Entschuldigt,
bitte!«
    Der ganze
Laden wurde still, und alle sahen mit hochgezogenen Augenbrauen in Richtung
Tür.
    »Entschuldigt.
Ich wollte euch nur daran erinnern, welche Zeit wir haben.
Wisst ihr, was für eine Zeit? Zeit, damit zu
beginnen, sich selbst zu respektieren, Zeit, damit zu
beginnen, sich um sich selbst zu kümmern, Zeit, damit
aufzuhören, sich gegenseitig umzubringen, Zeit, die Finger
vom Drogengeld zu lassen, Zeit für diesen
Bruder«, er nickte zu dem Gewichtheber hinüber, »zu erkennen, dass Kettengold
Narrengold ist.« Strike erwartete eine Art Explosion, doch der Ex-Knacki nickte
ruhig und zustimmend. »Zeit, der
Gesellschaft etwas zu geben, statt zu nehmen, Zeit, damit
aufzuhören, eure Mütter, Schwestern, Frauen respektlos zu behandeln und das
Wort >Power< neu zu überdenken, Zeit, zu
erkennen, dass wahre Power nichts mit Muskeln, Rache, Heimzahlen, Schmerz oder
sexuellen Fähigkeiten zu tun hat, sondern dass wahre Power Bildung, geistige,
ökonomische, politische Bildung bedeutet, dass wahre Power Liebe bedeutet, zur
Familie, zu Gesellschaft und Rasse, und es ist Zeit,
Zeit, Zeit, Zeit, zu erkennen, dass uns niemand helfen wird, weil
niemand einen Schwarzen mit echter Power sehen will, also müssen wir uns selbst
lieben, es selbst tun, es selbst weitersagen ... Danke, ich liebe euch alle.«
    Die
Friseure waren während der kurzen Rede des Kerls höflich vom Kopfende der
Stühle zurückgetreten. In dem Moment, als er sich bedankte, traten sie vor und
machten sich wieder an die Arbeit, emotionslos, undurchschaubar.
    Die Kunden
blieben ebenfalls unberührt; die Jungen um ihren kleinen Freund in dem Stuhl tauschten ausdruckslose
Blicke, nur der Ex-Knacki gegenüber Strike schien zu reagieren, nickte
zustimmend, hob eine riesige Faust und machte eine reißende Bewegung, als zöge
er an einer Lokomotivpfeife.
    »Danke«, wiederholte der Typ im Anzug. In der Tür
zögerte er, sah zu Tyrone und Strike hinüber, gestikulierte dann mit einem
ledergebundenen Buch, das die Bibel, der Koran oder ein Wörterbuch sein
mochte, deutete auf Tyrone, sprach aber Strike an, und seine Stimme war jetzt
persönlich und informell: »Die Kinder heutzutage, sie sind weiser. Aber sie
sind auch schwächer als je zuvor ...«
    Strike nickte unverbindlich, Tyrone wand sich auf
seinem Stuhl, sank zusammen und

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