Price, Richard
sich vor, als sei er im
Fern sehen. »Bei 'nem Typ
wie dem ist es besser, man schießt erst mal, bevor man Fragen stellt, weil,
der hat nie gute Nachrichten für einen. Erst schießen, dann fragen, selbst wenn er
nur die Uhrzeit wissen will, sag bloß: >Zeit zu sterben, Errol<, und
schieß dann direkt in seine hässliche Visage.«
Tyrone saß so still wie ein Mönch da und sah zu, wie
die Reihe der Unzen wuchs.
Strike hielt einen Finger in die Höhe. »Und glaub ja
nicht, der würde Rücksicht auf dich nehmen, weil du noch nicht so alt bist.
Scheiße, ich glaub, der hat erst letztes Jahr 'nen Elfjährigen erschossen.«
Strike war sich nicht ganz sicher, ob er den Jungen mit
diesen Geschichten an sich binden konnte. Er sah Tyrone an. Warum sagte er nicht einfach was?
»Hast du jemals mit ner .25er geschossen?«
Tyrone schüttelte den Kopf, und Strike drückte ihm die
Waffe in die Hand.
»Das ist doch wohl was, hmm?«
Tyrone starrte auf seine Handfläche; seine Finger waren
gespreizt, als sei er zu scheu, eine Faust zu machen und die Waffe
festzuhalten. Der Junge sah entnervt drein, aber Strike sah noch etwas anderes
in seinen weit aufgerissenen Augen: ein Schwindelgefühl, das den Jungen seine
Lippen vollständig zwischen die Zähne saugen ließ.
Acht Beutel waren jetzt gefüllt, etwa zwei Unzen lagen
noch in der Schüssel. Strike war versucht, dem Jungen den Suppenlöffel zu geben
und ihn selbst eine Unze abmessen zu lassen, aber irgendwie war ihm nicht wohl
dabei, also tütete er den Rest selber ein und verstaute die Beutel in der
Kommode.
»Also, das hier, das sind keine Ampullen. Damit komm
ich in eine höhere Liga. Macht mich zum Millionär. Was hältst du davon?«
Tyrone gab keine Antwort.
Strike warf dem Jungen einen fragenden Blick zu. »Was
ist los mit dir?«
Tyrone
machte ein Geräusch, das anscheinend >nichts< bedeuten sollte. Er sah
immer noch die Waffe an, starrte sie an, als sei sie ein winziges, aber
gefährliches Tier, das auf seiner Handfläche schlief.
Strike
nahm Tyrone die Waffe aus der Hand und legte sie in die unterste Schublade der
Kommode. Er wollte die Trance des Jungen jetzt brechen und ließ ihn dabei
helfen, die zum Mischen benötigten Utensilien zusammenzukramen und in die Küche
zu tragen. An der Art, wie der Junge die Schüssel unter den Wasserhahn hielt,
konnte er erkennen, dass Tyrone versuchte, nicht mit dem kreidigen Schleier des
Kokainrests in Berührung zu kommen.
»Willst
du 'n Yoo-Hoo?« Strike deutete mit dem Kinn zum Kühlschrank.
Herman
tauchte zögernd in der Tür auf, nicht ganz sicher, wo er war, murmelte halbe
Worte vor sich hin und erschreckte Tyrone, der die Schüssel mit einem hohlen
Knall in die Spüle fallen ließ, fast zu Tode. Hermans Hals war so runzelig und
dünn wie ein Broccolistrunk, und der Kragen seines gestärkten weißen Hemds war
mindestens zwei Nummern zu groß.
»He,
Herman«, sagte Strike. Er schüttelte dem alten Mann die Hand.
Herman
nickte und wandte sich dann mit einem süßen kleinen Lächeln an Tyrone. Sein
Kinn war mit weißen Stoppeln übersät.
»Das ist
mein Bruder«, brüllte Strike und blinzelte zu Tyrone hinüber.
»Bist du
im College?« Herman versuchte, ihm den Kopf zu tätscheln, aber Tyrone fuhr
zurück und knallte in einen Schrank. Zum ersten Mal, seit er in den Wagen
gestiegen war, suchte Tyrone Strikes Blick, und Strike sah überrascht, dass der
Junge kurz davorstand, in Tränen auszubrechen.
Es war
fast elf Uhr nachts, eine Stunde nach der letzten Runde des Fury. Strike hockte
an seinem Platz und überwachte den Ampullenverkehr; es lief gut, aber es gab
nicht viel zu tun, außer darauf zu warten, dass Rodney ihn anpiepste und ihm
sagte, was er als Nächstes mit den Unzen zu tun hatte. Rodney hatte ihn am
Telefon angepflaumt, seinen Arsch zu bewegen und einzutüten, und jetzt saß er
hier vier Stunden später, ohne dass irgendwas passierte. Beeil dich und warte.
Immer dasselbe: Beeil dich und warte.
Als er zur
Siedlung zurückgekehrt war, war Tyrone aus dem Wagen geflüchtet, als müsse er
ganz dringend aufs Klo, und jetzt verfluchte sich Strike dafür, dass er dem
Jungen all die Lügen über geheime Häuser und Erroll Barnes aufgetischt hatte.
Am widerlichsten an der ganzen Aktion fand er, dass er den Jungen die Schüssel
hatte auswaschen lassen, als sei das eine Art Initiationsritus. Na, scheiß
drauf, wenigstens hatte er ihn nicht Unzen eintüten lassen.
Auf dem
Gehsteig erhob sich zögernd einer der
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