Price, Richard
aber als die Gestalt näher kam -
mittelgroß, die Schultern eingezogen, als sei es kalt, mit kleinen ruhigen
Schritten -, sah Strike, um wen es sich handelte: Erroll Barnes. Alle
erkannten ihn gleichzeitig, beruhigten sich wieder, doch Papis amüsierte
Hysterie wich einer ernsten Ruhe. Strike sah, wie Erroll näher kam. Er war
fünfunddreißig, sah aber wie fünfzig aus, dürr, kurzgeschnittene graue Haare
und Bart. Sein Gesicht war von tiefen Falten gezeichnet und sein Mund eine
schmale Linie; seine Augen waren verstohlen und leer zugleich. Er sah aus, als
hätte er sein ganzes Leben lang noch keinen vollständigen Satz von sich
gegeben.
Als Erroll
immer noch ein paar Meter von der Gruppe entfernt war, hob Rodney beide Arme
über den Kopf, so als hätte jemand >Hände hoch< gesagt.
»Papi«,
rief Rodney mit erhobenen Händen und ging rückwärts auf den Lieferwagen zu.
»Vaya con Dios.«
»Mi amor.«
Papi salutierte und wandte sich dann an Strike. »Mein Freund ...« Er lächelte
erwartungsvoll; der Satz blieb unbeendet. Strike nickte auf Wiedersehen, aber
dann ging ihm auf, dass Papi seinen Pager zurückwollte.
Strike und
Rodney fuhren just in dem Moment los, als Erroll zu der Gruppe stieß. Strike
konnte an den Gesichtern ablesen, dass jetzt völlig andere Manieren angesagt
waren, nachdem Rodney fort und Erroll da war.
»Was soll
das hier?«, fragte Strike. »Was war das?«
»Was war
was?«, sagte Rodney, spielte mit ihm, und sein Mund zog sich in heimlicher
Belustigung zusammen.
»Das hat
mir nicht gefallen.« Strike sah demonstrativ zum Fenster hinaus.
»Was hat
dir nicht gefallen?«, lachte Rodney. »Du hast gerade gesagt, du weißt nicht,
was das war, woher willst du wissen, dass es dir nicht gefallen hat?« Die
düsteren Türme der O'Brien-Siedlung lagen hinter der nächsten Ampel, und Strike
hielt sich in Erwartung der Kurve fest. »Lass uns bloß dieses Geschäft hinter
uns bringen, und dann bring mich zu den Bänken zurück.«
Rodney
ließ sich Zeit. Er flog an der Siedlung vorbei und sprach dann gedehnt aus dem
Mundwinkel: »Das Geschäft ist gelaufen.«
Jetzt
kapierte Strike und fühlte unter dem Sitz nach dem Geld. Die Toys-R-Us-Tüte war
verschwunden.
»Also,
normalerweise lasse ich Erroll alles machen, verstehst du? Das Geld
transportieren und den Stoff abholen, aber heute Abend dachte ich, ich kümmere
mich um die Hälfte mit dem Geld, damit ich dir mal die Leute zeige. Damit sich
alle mal sehen, für die Zukunft, nur für den Fall, dass ich dich mal um Hilfe bitten
muss, verstehst du, was ich meine?«
Strike saß
in Rodneys Wohnzimmer auf einer mit einer Plastikhülle überzogenen,
türkisfarbenen Couch, hielt seinen Mund und hörte genau zu.
Strike war
noch nie zuvor in Rodneys Haus eingeladen gewesen, hatte in einem Haus nie das
behagliche Gefühl von Sicherheit verspürt, und ihm schwindelte vor Gefahr. Was
zum Teufel ging hier vor sich? Er konnte nicht länger schweigen.
»Aber ihr
kauft doch alle von New Yorkern. Champ bringt dich um, das kannst du nicht
machen.«
Rodney
stand, bis zu den Hüften nackt, am Kühlschrank und aß ein Hühnerbein.
»Champ ist
cool.« Rodney leckte sich die Finger. »Champ kriegt sein Geld. Er hat keine
Beschwerden.«
»Das
kannst du nicht machen«, sagte Strike schwach, zu fertig, um eine Menge Energie
mit Streit zu vergeuden.
Rodneys
Wohnung sah wie jede andere fünfundsiebzig Jahre alte, heruntergekommene
Wohnung in Dempsy aus: ein kleines Wohnzimmer, das direkt in ein winziges
Schlafzimmer gleicher Größe führte, dahinter die Küche, hinter der ein
Badezimmer zur einen und ein winziges Schlafzimmer zur anderen Seite lagen. Es
gab keine Türen zu den verschiedenen Räumen, so dass Strike vom Wohnzimmer aus
direkt auf ein sechs Meter entferntes, rosafarbenes, mit Satindecken
überzogenes Bronzedoppelbett starrte.
»Willst du
auch was?« Rodney streckte ihm eine Plastikschüssel voller Hühnerfleisch
entgegen. Strike winkte ab. Rodney zuckte mit den Schultern. »Wenn du so
weitermachst, wirst du bald überhaupt keinen Hintern mehr haben.«
»Ich
esse.«
»Ja, wie
ein richtiges Schwein.« Rodney seufzte und kam dann zur Sache. »Hör zu, ich
werde dir mal was über Champ erzählen. Champ ist auf der Straße, aber bei Papi
geht's um Gewicht. Das hat mit Champ nichts zu tun. Was ich von Papi kaufe,
geht in Unzen raus und sieht kein Tageslicht. Ich hab Leute, die kommen aus
South Jersey, aus Pennsylvania, Scheiße, ich hab sogar einen Kunden
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