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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Marktschreier so heißen. Anstatt -flüsterer. Oder -grummler. Man braucht dazu nur unter den mißtrauisehen Augen der Standbesitzerin nach den mit dem Flugzeug aus den hinterletzten Ecken unseres Planeten importierten, sündteuren Exotika zu grapschen.
    Grillstände, die einem die Möglichkeit boten, extra zur Erbauung einer zwischen Abscheu und gibbelnder Faszination hin- und hergerissenen, nicht-wohin-mit-sichwissenden Gruppe von Teenies unaussprechliche Akte oralen Sexes mit einer senftriefenden Bratwurst zu praktizieren.

Straßenmusiker, die sich durch gezieltes Mitklatschen ratzfatz aus dem Takt bringen ließen. Oder durch inspiriertes Mitsingen beinahe noch schneller aus der Fassung. Zeugen Jehovas - Ha! Viele Leute sind ja der Ansicht, diese armen Trottel seien auch so schon genug gestraft. Ich nicht. Ich meine, die brauchen es knüppeldick. Andernfalls merken sie nichts. Denn, mal ganz im Ernst, woraus rekrutieren die neue Mitglieder, wenn nicht aus lauter völlig Hirnverdampften, die nichts mehr mitkriegen? Wer, um alles in der Welt, wer, im Besitz zumindest der Hälfte seiner Sinne, wer geht hin, stellt sich vor diese grauen, verhärmten Stoiker mit ihren Käseblättern auf der Faust, sieht sie sich von oben bis unten an und denkt: >Wow, geil, genau so möchte ich auch sein!    Ich stellte mich dahinter. Schräg hinter einen, mit Hut und Mantel und Aktentasche zwischen den frisch geputzten Schuhen und einer Miene, die geeignet war, mich direkt in die Arme der Hare-Krishna-Mönche zu treiben. Und scheiß auf den Haarschnitt.
    Erst versuchte ich ihn dazu zu bringen, sich umzudrehen, indem ich ihm konzentriert in den Nacken starrte. Dumm von mir. Merkte er natürlich gar nicht. Da hätte es wahrscheinlich ein Brennglas für gebraucht. Dann fuchtelte ich ein bißchen in der Luft herum, bis die ersten Leute ihren Schritt verzögerten, um, noch etwas unentschlossen, aus den Augenwinkeln herüberzugaffen. Laaaangsam, mit wulstigem Grinsen, zippte ich meinen Blouson auf. Ich trug das gleiche T-Shirt wie vorgestern abend. Einzelne Leute blieben stehen. Ich zippte noch ein Stückchen und starrte wieder den Zeugen an, damit die Zuschauer das gleich taten. Einzelne Buchstabenkombinationen wurden lesbar, die ersten begannen zu raten. Kleine Grüppchen bildeten sich. Ich sah sie mir alle genau an. Ganz genau. Mein Mann war nicht darunter.
    Schließlich hatte ich den Reißverschluß ganz unten, wartete noch einen kleinen, dramatischen Moment, riß dann den Blouson ganz auf und rollte mit den Augen. Ersticktes, halbersticktes, offenes Gelächter setzte ein. Als der Zeuge sich umdrehte, machte ich die Jacke hastig zu und blickte unschuldig. Als er sich wieder nach vorn drehte, riß ich sie wieder auf. Irgend jemand in der zweiten Reihe begann, haltlos zu wiehern. Der Sektierer kam zu einem Entschluß, bückte sich, öffnete seine Aktentasche, sortierte den >Wachtturm< hinein, nahm die Tasche unter den Arm und schritt mit unbewegter Miene davon. >Ich hab heute vielleicht was erlebt<, würde er heute abend am Tresen seines Tempels zu den Kumpels sagen, und er würde es ein bißchen spannend machen und ein bißchen ausschmücken und sich die Pointe bis zum Schluß aufsparen, und dann würden sie sich alle auf die Schenkel hauen und brüllen vor Lachen.
    Ich stand gerade vor einer musizierenden Gruppe irgendeiner unserer zahllosen ethnischen Minderheiten - eindeutig, unzweifelhaft mit Katzendarm bespannte Saiteninstrumente, begleitet von Tröten, wie sie andernorts zum Anlocken von Wasservögeln Verwendung finden und dazu ein Gesang, als ob der Vortragende gleichzeitig die Eier in einem Knobelbecher geschockelt bekäme - und ließ mich zu einem kleinen Bauchtanz hinreißen, was gut ankam - beim Publikum, bei den Musikern bin ich mir nicht ganz sicher - als wer vorbeikam, in einer Art Jerry-Cotton-Anzug, mit Handy am Ohr und den Diplomatenkoffer ans Handgelenk gekettet, wenn nicht mein Freund Jochen Fuchs, der Detektiv, den die Frauen lieben. Die Alten, zumindest. Er sah kurz zu mir, ließ sich aber nicht aufhalten, sondern ging zügig weiter, ganz auf sein sicherlich wichtiges Gespräch konzentriert, brach dann mitten im Satz ab, blieb ruckartig stehen und drehte sich wie in Zeitlupe um. Mit offenem Mund.
    Es war eine dieser Situationen, in denen man entweder erbleichend die Vorstellung abbricht und im Boden versinken möchte oder aber sein Hemd hochzieht bis unters Kinn, den Bauch aufbläst und den Nabel kreisen läßt wie

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