Prickel
Wecker kurz vor dem Schnack! nach dem gar nichts mehr geht, doch der Rest meines Nervenkostüms schaffte es irgendwie, sich gleichzeitig mit perversem Vergnügen an meinem Rollenspiel zu ergötzen.
Unwiderstehlich grinsend schmatzte ich viel und feucht mit den Lippen, stierte unter lüstern gesenkten Lidern ungeheuer unauffällig um mich und überließ es der Phantasie meiner Umgebung, zu entscheiden, was es sein mochte, womit sich meine tief in die Taschen meiner überweiten Bundfaltenhose vergrabenen Hände wohl so beschäftigten.
In Essen angekommen, lungerte ich eine Weile im Bahnhof herum. Abgesehen von den paar versprengten Reisenden, die auf mich stets den Eindruck von Leuten auf der falschen Party machen - ganz so, als habe ihnen jemand erzählt, die Institution Bahnhof sei für sie und ihre Bedürfnisse eingerichtet worden und nicht als ein zentrales Sammelbecken für sämtliche Randfiguren der Stadt - einmal abgesehen also von diesen Exoten, denen man beim kofferzerrenden Defilee durch die Zombies unserer Gesellschaft immer >Nächstes Mal nehm ich wieder das Auto< von den angestrengt geradeaus starrenden Gesichtern ablesen kann, also diese Handvoll einmal außer acht gelassen, war dies hier in jeder Hinsicht genauso Dets Szene wie der Bierbrunnen, den ich später, und von da ab stündlich, aufsuchen wollte. Doch später.
Erstmal mischte ich mich unter die bierverblödeten Punker, die wenn's geht noch bierverblödeteren Fußballfans, die von Haus aus blöden und dann noch stumpf gesoffenen Skinheads, die gar nicht mehr ansprechbaren Berber, die nicht weniger weggetretenen, ausgemergelten Junkies, umschiffte die rosig angehübschten Stricher mit ihren Schnappmessern in den Augen und den Schäften ihrer Stiefelchen, umschiffte auch die abgefuckten und samt und sonders viel zu früh gealterten Drogennutten und schlug bewußt große Bögen um die immer, immer zu zweit oder zu dritt auf ladenneuen Trainern hellwach herumstehenden, jeder durch dunkle, dunkle Gläser in eine andere Richtung blickenden, ganz harten, ganz schnellen, handybewehrten Jungs in Schwarz.
Bis es mir langweilig wurde, denn kaum jemand beachtete mich.
Gemächlich wie eine Wasserleiche ließ ich mich von da aus die Kettwiger Straße hinuntertreiben, hier und da verweilend, ab und an einmal um meine Hochachse rotierend, mit schlappenden Sandalen und der gelösten Haltung und Miene von jemandem, der den lieben langen Tag lang nichts zu tun hat außer schnorren, popeln, saufen und onanieren; jemand, in dessen Oberstübchen die strahlenden Lichtverhältnisse und der geballte gedankliche Reichtum eines Pornokinos herrschen und der das alles klasse findet.
Die Sonne schien, darum war es schwül, aber es war auszuhalten. Ich eierte ziellos umher, ich gaffte, ich sabberte ein bißchen, ich sprach immer mal wieder ein paar Worte zu mir selbst, ich stellte mich vor das Schaufenster einer Dessousboutique und klopfte solange meine Hose von innen aus, bis die Ladeninhaberin mich bemerkte, mit einem Satz zum Telefon hechtete und ostentativ drei Nummern einhackte. Da ich keinen rechten Bock verspürte auf eine Fahrt mit der Minna und eine Tracht mit dem Knüppel, verdrückte ich mich um ein paar Ecken, fand mich auf dem Kennedyplatz wieder, wo ich schwärmeweise Tauben aufscheuchte und dafür um ein Haar von einer kleinen, alten Dame mit ihrer scharfkantigen Handtasche skalpiert worden wäre. Unter ihrem nervenzerfetzenden Gekeife zog ich weiter, allerdings nicht ohne meinen Gleichmut durch zwei oder drei wirklich obszöne Gesten wiederhergestellt zu haben.
Ich wollte auffallen und möglicherweise in leichte Schwierigkeiten geraten, wollte von Det bemerkt werden und ihm, falls er mir wieder nachschleichen sollte, eine Gelegenheit zum Eingreifen geben; es war ein bißchen wie eine raffinierte Brautschau. Nur, halt, nicht mit einer Schönen, sondern mit einem Mörder. Das war der kleine Unterschied, an den ich mich wieder und wieder selbst erinnern mußte, um nicht zu sehr in meiner Rolle aufzugehen und darüber meine Wachsamkeit eindösen zu lassen.
Denn mich in auffälliger Weise daneben zu benehmen schien meinem Naturell nur zu gut zu entsprechen. Ohne auch nur groß nachdenken zu müssen, fiel mir dummes Zeug zuhauf ein. Lauter Sachen, die ich immer schon mal hatte machen wollen. Und die Kettwiger Straße war in jeder Hinsicht genau der richtige Ort dafür. Hier gab's einfach alles: Obststände, wo man eigenohrig erfahren konnte, warum
Weitere Kostenlose Bücher