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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Nunja, das Viertel hatte es seitdem sichtlich umstrukturiert. Leere Fensterhöhlen in fast jedem zweiten Haus. Doch Hoffnung war in Sicht: Ein großes Bauschild verkündete die baldige Errichtung eines Mega-Einkaufszentrums. Das machten sie zur Zeit überall. Ersetzten Fabriken durch Einkaufszentren. Man wurde das Gefühl nicht los, die Entscheidungsträger erwarteten ernsthaft, die dadurch entstandene Masse von Arbeitslosen hätte keine andere Sorge, als von morgens bis abends zu shoppen. Wenn schon nicht aus Dankbarkeit für den Zugewinn an Freizeit, dann vielleicht, weil sie sonst einfach nicht wußten, wohin mit den Unsummen an Stütze.
    Ich machte die Scheinwerfer aus, drückte mich in eine Parklücke. Der Bus bog in eine Seitenstraße ab. Ich zählte bis zehn, dann fuhr ich wieder an. Ganz vorsichtig, geduckt, sozusagen. Ich spürte, wir waren jeden Augenblick da. Zeit wurde es. Mitternacht war schon gut drei Stunden vorbei.
    Ich verfluchte meinen kaputten Auspuff, ließ die Carina nur mit Leerlaufdrehzahl dahinrollen, und doch kam es mir saumäßig laut vor. Ich hätte sie stehen lassen und mein Glück zu Fuß versuchen sollen. Hätte.
    Die Seitenstraße endete schon nach fünfzig Metern, doch zweigte von ihr links und rechts je eine Gasse ab. Liefergassen für die ehemaligen Geschäfte vorn.
    Links oder rechts? Alles war still, alles war dunkel.
    Ich entschied mich für rechts.
    Der Auspuff knurrte gleichmäßig vor sich hin und ich sah mich konzentriert um. Ein Licht, Herr, gib mir ein Licht, Herr, ein Zeichen, daß sich etwas tut. Doch alles blieb duster.
    Wirklich duster. Vielleicht waren sie doch zur anderen Seite abgebogen? Nein, waren sie nicht. Da stand doch ein Tor offen? Und ballerte da nicht ein Motor? Und flog da nicht auf Höhe meines rechten Heckkotflügels eine Türe auf? Und sprang da nicht eine Gestalt heraus mit einem längeren Stab in der Hand? Sah aus wie ein - tja, als hätte ich's geahnt -Baseballschläger? Während im selben Moment der VW-Bus mit hoher Drehzahl und voll aufgeblendeten Scheinwerfern durch das offene Tor geschossen kam und in meine Richtung schwenkte? Viele Fragen und nur eine Antwort.
    Es krachte im Getriebe, als ich den Rückwärtsgang reinwürgte, ohne vorher richtig zum Stehen gekommen zu sein. Und es krachte, als die Gestalt mit dem Stab anfing, auf meine Karosse einzudreschen, und es machte Paff!, als meine Heckscheibe getroffen wurde und in sich zusammenfiel. Ich warf den Arm über die Rückenlehne für Halt und steuerte mit der Linken. Das Getriebe heulte wie immer, wenn man rückwärts fährt, und der Motor heulte wie immer, wenn man dabei über achtzig schnell wird. Wohl um sich für vorhin zu revanchieren, fing der Bus auch noch an zu schieben. Durch das offene Heckfenster blies mir der Fahrtwind ins Gesicht. Alles in allem kam ich mir leicht ertappt vor.
    Dort, wo die Gasse von einer Querstraße unterbrochen wurde, bewegte ich das Lenkrad sachte bis zum Anschlag und tippte die Bremse leicht mit der Hacke an. Mit dem sanften Kreischen blockierter, rauchender Reifen kam die Fuhre herum. Krachend ging der Bus längsseits, und der Fahrer versuchte sofort, mir vor den Vorderwagen zu fahren und so den Weg abzuschneiden. Ein dritter Mann hing aus dem Seitenfenster und warf etwas nach mir. Was immer es gewesen war, er schmiß daneben. Zeit für einen zweiten Versuch ließ ich ihm nicht. Wenn mein Adrenalinspiegel einen gewissen Punkt überschreitet, wirkt er auf die Carina wie ein Turbolader. Wir flogen nur so davon. Der Bus folgte nach, mit wütendem Fernlicht. Ich begann mich gerade zu fragen, wo ich eigentlich hinwollte, als sich überraschend eine Autobahnauffahrt anbot. Ich nahm sie. Trat das Gas durch bis zur nächsten Ausfahrt, fuhr runter, überquerte die Bahn und fuhr auf der anderen Seite wieder drauf. Nicht ganz zehn Minuten später war ich wieder auf der ehemaligen Vorort-Prachtmeile unterwegs. Nur diesmal zu Fuß.
    >Otto Wiedehopf Feinkost< hatte ich aus dem Augenwinkel von dem verblichenen Schild abgelesen, auf der Türe, durch die eine Sekunde später die Gestalt mit dem Baseballschläger gesprungen gekommen war.
    Es ging hier nicht darum, irgendwelche Heldentaten zu vollbringen. Aber ich mußte mich schon eigenen Auges davon überzeugen, daß die Motoren sich wirklich hier befanden. Dann brauchte ich eigentlich bloß noch Heiner Sültenfuss anrufen, und der würde mit drei Abschleppwagen und zehn Mann seiner Crew angerückt kommen und den Rest

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