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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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erledigen. Nur nachsehen mußte ich. Auf bloßen Verdacht hin würde Heiner nirgendwo angerückt kommen.
    Ich hielt mich ein bißchen im Schatten der Laternen, denn so halb und halb erwartete ich, daß die Polen noch ein Weilchen Streife fahren würden, doch alles blieb ruhig. Fast vier Uhr morgens. Eine Ratte hoppelte über die Straße, sonst bewegte sich nichts.
    >Wiedehopf<. Altmodisch geformte Buchstaben mit gelben, gebogenen Neonröhren vorne drauf zierten das angefressene Betonvordach. Fenster und Türe darunter waren mit von Zeit und Regen verfärbten und verquollenen Spanplatten vernagelt.
    Na also. Da waren wir. Ein Schritt zurück. Auch die Fenster im ersten Stock waren zugenagelt. Schade. Das Vordach hatte so einladend ausgesehen. Ich ging weiter. In meiner Jackentasche steckte ein bißchen Werkzeug. Nur das Nötigste: Ein Sortiment Schraubenzieher, eine Kneifzange, ein schmales Eisensägeblatt. Ah ja, und ein Fläschchen Nähmaschinenöl. Sowas habe ich immer im Handschuhfach. Und unter dem Pulli trug ich zehn Meter Bergsteigerseil um den Bauch gewickelt. Das liegt bei mir immer unterm Sitz. Etwas von mir weg hielt ich eine Tüte mit vom Wagenboden aufgeklaubten Essensresten. Wegzehrung, haha.
    Zwei Häuser weiter fehlte die Türe. Vorsichtig steckte ich den Kopf in die Öffnung. Gott! Was für ein Gestank! Ich wartete, bis meine Pupillen ihre maximale Ausdehnung erreicht hatten, dann trat ich ein. Mein Fuß sank in etwas Weiches. In einer Ecke das Raumes lag ein schnarchendes Bündel. Scheißhaufen und Lachen von Erbrochenem musterten den Boden.
    Da sieht man's mal wieder, dachte ich, wohin einen die Schlechtigkeit der Frauen bringen kann. Hoffentlich ende ich nicht auch mal so.
    Ich ging weiter. Unter der Treppe schnarchte noch jemand. Wenn möglich, hatte sich der Gestank weiter verdichtet.
    So, dachte ich, sieht der wahre Detektivalltag aus: Zwischen vier und fünf Uhr morgens auf Zehenspitzen durch eine vollgeschissene und vollgekotzte Berberhöhle schleichend. Wieso liegst du nicht im Bett, Kristof? fragte ich mich. Was tust du hier?
    Ich schlich weiter. Die knarzende Holztreppe hoch. Niemand erwachte. Oben fiel Licht von der Straßenbeleuchtung durch die leeren Fensteröffnungen. Wahrscheinlich war es hier zu hell, oder die Luft zu gut zum Pennen, auf alle Fälle waren beide Räume leer. Ich ging nach hinten, beugte mich aus dem Fenster. Die rückwärts angebauten Lagerschuppen waren nur einstöckig, mit Flachdächern. Ich stieg raus auf die geteerte Fläche. Ging zwei Häuser zurück. Die Dächer hatten fast alle eine Höhe. Das von Wiedehopfs ehemaligem Feinkostlager verfügte obendrein über zwei Dachfenster; die alte, einfache Sorte mit den abgerundeten Ecken. Eins davon stand einen Spalt offen. Wohl wegen der Junihitze. So hat halt alles auch seine guten Seiten. Sachte kniete ich mich daneben. Sah mich noch mal um. Die Fenster nach hinten raus hatte der alte Wiedehopf anscheinend noch selber und schon vor zig Jahren zumauern lassen. Ich war völlig ungestört. Ein schwacher Streif am Horizont versprach ein baldiges Ende der Nacht. Die ersten Vögel piepten. Es war kühl geworden. Sonst noch was? Nein.
    So sachte, wie ich mich hingekniet hatte, griff ich jetzt in meine Jackentasche und holte das Ölkännchen heraus. Der >Ölige Theo<, einer von der selten gewordenen Kaste der planvollen Profi-Einbrecher, hatte mir das beigebracht: >Wenn du weißt, du könntest gehört werden, und du mußt es bewegen, öl es vorher!< Er hatte das zu seinem Markenzeichen gemacht. Nach 128 wohlgeölten Einbrüchen ist es ihm zum Verhängnis geworden. Doch seine Lehre würde ihn überdauern. Ich spritzte eine großzügige Dosis auf die alten, rostigen Scharniere. Dann griff ich durch den Spalt, packte den Schwengel und klappte das Fenster auf. Ging wie geschmiert. Ich linste in den Raum unter mir. Eine einsame Glühbirne über einem siffigen Waschbecken spendete einen Hauch von Licht. Irgendwo zwischen oder hinter den stellenweise bis zur Decke reichenden Kisten und Kartons schnarchte jemand. Direkt senkrecht unter dem Fenster stand ein wackliger Tisch voll leerer Flaschen und Gläser.
    Oh, oh, dachte ich. Das ist nun nicht so schön.
    Jetzt das Seil her. Ich nahm die Tüte mit der Wegzehrung, die ich etwas weiter weggestellt hatte, knotete sie am Seil fest und ließ sie in die Fensteröffnung hinab. Alte Pommes, ein Ende Currywurst, eine angebissenen Käsesemmel. Bei sommerlichen Temperaturen eine ganze Weile im

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