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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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»Ich habe noch Pläne für heute nacht.«
    Als sage das alles, zog er unter seiner Strumpfmaske eine Grimasse, die wohl ein Grinsen darstellen sollte, schwang sich mit wehenden Ohren auf den Fahrersitz und ließ den V8 aufbellen.
    Dazu muß man wissen, daß mein Freund Charly der felsenfesten Überzeugung ist, daß nichts, was er unternimmt, schiefgehen kann, solange er für danach eine Verabredung hat.
    Gemächlich robbte der Geländewagen nach vorn. Das Seil schlängelte hinter ihm her über die Erde, hob dann ab, hing in einem Bogen frei, zog sich stramm. Ich gab ein Zeichen.
    Mit einem berstenden, knatternden Krachen fuhr in direkter Nachbarschaft ein Blitz vom Himmel. Ich stand, zur Statue gefroren, während die Szene vor meinen Augen in grelles Weiß getaucht und kaleidoskopartig vervielfacht auf meiner Netzhaut oszillierte. Ein paar schwere Tropfen patschten ringsum auf die trockene Erde. Von irgendwo in dem großen, düsteren Gebäude erklang das Winseln eines Alarms.
    Schweinemästers Traum schien sich wie zum Sprung zu ducken, als Charly bei gleichzeitig getretener Bremse seinen Fuß auf das Gas senkte. Dragster-Fahrer machen das so, um die Drehzahl für den Start hochzujubeln. Für Sekunden klang es, als versuche der Motor quasi mit zusammengebissenen Zähnen den Wagen zu zerreißen, dann löste Charly die Bremse, die feisten Stollenreifen krallten sich in den Acker, und ein gewaltigen Ruck ging durch die ganze Fuhre. Das Seil begann zu sirren wie eine überdehnte Saite, und ich machte einen unwillkürlichen Schritt zurück. Hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet, dieser Schritt.
    Im nächsten Augenblick brach die gesamte Front von Roselius' Zelle knirschend aus der Fassade und sprang praktisch noch ein Stück nach vorne, bevor sie der Schwerkraft folgen mußte und beim Aufschlag mit einem dumpfen Wumms! den Acker zum Zittern brachte. Keine zwanzig Zentimeter vor meinen eingerollten Zehen. Von einem Schock in den nächsten gehetzt blickte ich taumelnd auf und sah Roselius oben in der Öffnung stehen, sein von hinten schwach beleuchtetes Anstalts-Engelshemdchen wie von einer Aura umgeben, Mund und Augen drei dunkle Kreise in seinem völlig entgeisterten Gesicht. Dann verschwand er kurz hinter dem Vorhang des urplötzlich und mit Gewalt herabrauschenden Regens.
    Die Scheibenwischer flappten auf höchster Stufe. Zischend verteilten die Reifen die auf der Fahrbahn stehenden Fluten in glitzernden Bögen nach beiden Seiten. Der Motor brummte hoch und gleichmäßig, beinahe gelangweilt. Wir waren auf der Autobahn.
    Ich konnte mich nicht erinnern, jemals in meinem Leben so durchnäßt und auch nur annähernd so dreckig gewesen zu sein. Und so fertig. Nervlich und körperlich.
    Bernd Roselius die Leiter herunterzubekommen war das erste Drama gewesen. Der Junge litt, wie sich herausstellen sollte, an Höhenangst. Und zwar ordentlich. Mit viel Hilfestellung und einem Schwall guter Worte bekam ich ihn dazu, beide Füße auf die Leiter zu stellen und sich erstmal festzuhalten. Doch dann war Schluß. Aus festhalten wurde festklammern und aus festklammern ein zittriger Krampf. Der Regen prasselte uns auf Köpfe und Schultern und lief uns in Bächen den Rücken herunter, Charly stand unten, scharrte mit den Hufen und gestikulierte ungeduldig, jeden Augenblick konnte, mußte hinter uns die Zellentüre auffliegen und eine tollwütige Meute von bis an die Zähne bewaffneten Pflegern über uns hereinbrechen, also tat ich das einzige, was mir in dieser Situation übrig blieb. Ich stemmte mich gegen die Leiter, sagte >Und tschüs< und gab ihr einen kräftigen Schubs. Er protestierte nicht, ja er reagierte noch nicht mal. Stand stocksteif, wie angewachsen, sah mich ungläubig aus riesigen Augen an, verharrte mitsamt Leiter einen winzigen Moment in der Senkrechten und kippte dann rücklings von mir weg und außer Sicht in das Dunkel des regengepeitschten Kartoffelackers. Ich selbst sprang.
    Die beiden saßen schon im Auto, als ich endlich angehumpelt kam. Charly hatte Roselius aufgefangen, so daß der glimpflicher davongekommen war als ich.
    Mein verstauchter rechter Knöchel bewahrte mich allerdings nicht davor, nur ein paar Minuten später aussteigen und schieben zu müssen. Roselius war zu nichts zu gebrauchen. Er klammerte sich nur an einem Haltegriff fest und schien das ganze Geschehen um ihn herum für einen übertrieben realistischen Film zu halten. Charly fuhr, also mußte ich raus, Knöchel hin, Knöchel her.
    Obwohl

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