Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
wir uns fast sicher waren, nicht gesehen worden zu sein, hatten wir trotzdem an der Route über die Bahngleise festgehalten. Die Fahrt über die Schwellen war zwar etwas holprig, doch ansonsten ohne Zwischenfälle verlaufen. Bis zu der Stelle unterhalb des Autobahnparkplatzes. Unterhalb, wohlgemerkt. Was die Karte uns nämlich nicht angezeigt hatte, waren die sechs Meter, die der Gleiskörper tiefer lag als der Parkplatz. Sechs Meter steile, regennasse, lehmig-glitschige Böschung, die den Allesüberwinder-Nimbus von Geländewagen sehr rasch als das bloßstellte, was er ist: naives Wunschdenken.
    Die Nase zeigte zwar in die gewünschte Richtung, und die Räder drehten sich. Mal schnell, mal langsam. Höhengewinn jedoch: Null. Und zurückgelegte Entfernung: Plus/minus 50cm, ungefähr. Mit anderen Worten: Charly konnte machen, was er wollte, das Heck rutschte immer wieder zurück gegen das Schotterbett der Gleise.
    Ich stellte die üblichen Fragen: »Hast du den Allrad drin?«
    »Ja.«
    »Alle Sperren drin?« »Ja.«
    »Geländeuntersetzung drin?« »Ja.«
    Alles drin, wir kamen trotzdem nicht vorwärts, also hieß es für mich: Raus. Raus in den Piaster, schieben. Mal eben das Gewicht einer mit allem erdenklichen Luxus-Schnickschnack aufgepäppelten, gußeisernen Landmaschine den Berg hochschieben.
    Mit der ganzen Lust und Begeisterung, mit der man ein von vornherein aussichtsloses Unterfangen so angeht, stemmte ich meinen unverstaucht gebliebenen linken Fuß gegen die Schiene, meine Schulter gegen die Karosse, schrie »Und Los!« und schob. Charly trat das Gas und - was soll ich sagen? - die Scheiße flog mir nur so um die Ohren. Ansonsten tat sich nichts. Bis Roselius drinnen im Wagen plötzlich heiser aufschrie und ich seiner Blickrichtung folgte.
    Ich denke mir, daß es die unvermittelt aus der grauen Gischt des Regens auftauchenden, ein leuchtendes Dreieck bildenden Scheinwerfer eines nahenden Zuges waren, die mir zu dem kurzen Aufbäumen von nackter Panik gespeister Kräfte verhalfen, mit denen ich dieses Quentchen Schwung möglich machte, das die Reifen schließlich doch noch etwas Halt finden und die Fuhre wild schlingernd die Steigung hochziehen ließen, Fontänen von fein püriertem Schlamm nach hinten jagend. Dahin, wo ich stand: Das Huu-u-huu! der Lok noch in den Ohren, schwankend bemüht, nicht in die ratternden Räder zu fallen und gefährlich nahe daran, meine Lunge herauszuwürgen.
    Fast vom Blitz getroffen, fast von zwei Tonnen fliegenden Mauerwerks erschlagen, fast vom Zug überrollt. Shaking all over. Zum Umfallen müde. Dreckiger als eine Sau in der Suhle. Mann, mir reichte es für heute.
    Unser Fahrer summte, spielte an Schaltern und Knöpfen herum, überholte alles, was uns begegnete und wischte wieder und wieder über die Frontscheibe, weil das Gebläse einfach nicht ankam gegen den von drei bis auf die Haut durchnäßten Passagieren ausgehenden, feuchtwarmen Dunst. Im Gegensatz zu mir und dem zu einem Zustand permanenten Schreckens erstarrten Roselius wirkte er geradezu entspannt. Auf eine hellwache, hochkonzentrierte Art entspannt. Ich war fast soweit, ihn zu beneiden. Für ihn war das Unternehmen so gut wie gelaufen. Er wußte, er mußte nur noch darauf achten, uns nicht mit rund 100 Sachen Fahrtüberschuß in das Heck eines Lkw zu rammen, dann mich und meinen Klienten in Oberhausen absetzen und schließlich eben kurz seinem, ähem, Bruder dessen Augäpfelchen zurück in die Garage stellen. Vielleicht noch einen Zettel dazulegen, der erklärte, warum das Ding aussah, als habe es gerade eben die Camel-Trophy mit einer Rotte Flußpferde als Fahrgäste hinter sich gebracht. Schon hatte er Feierabend und konnte sich gemütlich seinem Date - ...
    Ich sagte: »Laß mich raten, wer auf dich wartet.« Er legte den Kopf ein wenig schräg und grinste. »Wir haben telefoniert. Sie liebt mich doch, hat sie gesagt.«
    Na, es sei ihm gegönnt, dachte ich. Auf mich wartete schließlich ebenfalls . wenn auch, ohne es zu wissen . tief und fest schlafend . wie ich hoffte .
    Ich sah an mir hinunter. Mein Erscheinungsbild könnte, so stand zu fürchten, Anlaß zu mehr als nur einem fragenden Stirnrunzeln bieten. Mein Äußeres, so wie es sich zur Zeit präsentierte, könnte den Verdacht erregen, ich hätte nicht die ganze Nacht brav im Bett zugebracht, sondern mich irgendwo draußen aufgehalten. Einen Sumpf durchwatet. Ein Grab ausgehoben. Was sonst?
    - >Also, das war so, Schätzchen: Ich äh, wurde wach und

Weitere Kostenlose Bücher