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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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oder Unimog gepflügten Furchen brachial hin und her. So ähnlich muß es bei einer Notlandung zugehen. Kurz bevor die Kiste auseinanderbricht. Und dann explodiert.
    72 Meter, dachte ich. Das muß doch bald mal ein Ende haben. Richtig gedacht. Da kam es auf uns zu, das Ende: Rot und weiß gestreift und quer über den Weg gespannt und mit einem baumelnden kleinen Schild versehen. Ich erahnte den Text. Im nächsten Augenblick fand ich mich bestätigt. >Privatweg< las ich. >Durchfahrt verboten<. Ich hielt das Schild in zitternden Händen, die Schranke direkt vor der Nase. Da, wo bis gerade noch eine Scheibe für Schutz vor dem Wind gesorgt hatte. Wir standen.
    Es war ein sehr abrupter Halt geworden. Ein doppelter Knall, ein knirschender Ruck, gefolgt von der dröhnenden Stille völliger Taubheit. Airbagged.
    Draußen fiel der Regen. Wir parkten am Fuß der Brücke, an der Kreuzung zweier Wege, umgeben von Bäumen. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, mitten im Wald ein Stück Eisenbahnschiene rot und weiß anzupinseln und in Brusthöhe an zwei einbetonierten T-Trägern zu befestigen. Schwenkbar auf der einen, abschließbar auf der anderen Seite. Solide genug, einen Panzer aufzuhalten. Oder halt einen Geländewagen zu stoppen. Zum Preis zweier Scheinwerfer, eines Kühlers, einer Haube, einer Windschutzscheibe und, so stand zu befürchten, allerlei kostspieliger Kleinteile wie Einspritzanlage, Zündbox und sonstigem, oben auf dem Motor montiertem Krempel.
    »Seid ihr okay?« fragte ich. Charly nickte. Ich drehte mich nach hinten. Roselius schien ebenfalls weitgehend unverletzt. Schwer atmend hielt er immer noch einen abgerissenen Haltegriff umklammert. Genau wie ich, fiel mir auf. Ansonsten machte er mir nicht unbedingt den Eindruck, als habe er schon verinnerlicht, daß dies alles hier nur zu seinem Besten geschah.
    Ich warf den Haltegriff auf den Boden. Löste den Gurt. Schulterte die verklemmte Türe auf. Versuchte, mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß es von jetzt ab zu Fuß weiterging.
    Sie werden uns hetzen wie die Tiere, dachte ich.
    »Die falsche Brücke«, wiederholte Charly, sichtlich erschüttert. Ja, das war mir schon früher mal aufgefallen, daß die A3 kurz hintereinander erst über das Hexbach und dann über das Hengsbachtal führt. Das eine 12, das andere 72 Meter tief.
    Durch das letztere stolperten wir gerade, zu dritt nebeneinander, den schwachen und zittrigen Roselius zwischen uns, im strömenden Regen. Auch wenn ich nicht sagen konnte, ob es jetzt mit Hex oder mit Hengs anfing.
    »Und ich hatte mir die Stelle noch ganz genau angesehen, eine Stunde, bevor ich dich abgeholt habe.«
    »Auf der Autobahn sieht sich doch alles so ähnlich.«
    »Wir hätten tot sein können.«
    Nicht mit einem Knall, sondern mit einem beinahe sanften Wumms!, fast so, wie es macht, wenn man Spiritus auf den heißen Grill schüttet, oder ganz ähnlich, fiel mir auf, wie wenn ein zwei Tonnen schweres Stück Mauer vom Himmel hoch auf einen Acker wummst, explodierte hundert Meter hinter uns Heiko Zimmermanns teurer, teurer, teurer Mercedes G.
    Die Spritleitung war eh schon abgerissen gewesen. Ich hatte nur noch meine Camel in die Lache schnicken gemußt und die ersten Flämmchen hatten zu züngeln begonnen.
    »Das wird sie eine Weile beschäftigen«, sagte ich. »Jetzt müssen sie erstmal löschen und nachsehen, ob wir nicht vielleicht noch drinsitzen.«
    »Und nach Fingerabdrücken können sie lange suchen«, stellte Charly zufrieden fest. Dann humpelten wir weiter, in die Nacht hinein, den Regen, den Wald. Ohne einen blassen Schimmer, wohin. Nur weg. Alles, aber auch wirklich alles weitere würden wir improvisieren müssen.
    Sobald wir den Feuerschein hinter uns nicht mehr sehen konnten, machten wir eine kurze Rast. Zusammen zogen wir dem vollkommen entkräfteten Roselius seinen weißen Kittel über den Kopf und halfen ihm in sein neues Outfit. Schwarzes T-Shirt und Tarnhose! Als hätte ich's geahnt! Ja, mich kann man schon einkaufen schicken. Meine alten Basketballtreter waren etwas zu groß für ihn, aber besser als der eine, ihm verbliebene Anstaltsschlappen waren sie allemal. Außerdem trugen wir ihn ja eh mehr, als daß er lief. Kein Zuckerschlecken für jemanden mit einem angeknacksten Knöchel, doch wenn es ums Verrecken nichts bringt, zu jammern, habe ich mir angewöhnt, einfach die Schnauze zu halten.
    Mittendrin, mitten im finstersten, undurchschaubarsten, von tausend Schatten und noch mehr Geräuschen

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