Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
schlechter Witz. Auf mein kurzes Hupen hin zog er das Ding aus der Parklücke, in die ich dann die Carina stellte. Ich schnappte mir meinen Krempel und stieg um. Ächzend ließ ich mich in den Ledersitz fallen und schloß für einen Moment die Augen. Meine Gedanken kreisten noch um Weihnachten. Ich war mir nicht sicher, ob dieses oder nächstes Jahr.
    Mit einem fetten Rülpsen erwachte der Motor, und wir waren unterwegs.
    »Und?« fragte Charly. »Sie schläft.« »Gut.«
    »Hast du alles gekriegt?«
    Er deutete nach hinten. Stricke, Haken, ein Bolzenschneider, Eisensäge, Vorschlaghammer, Brecheisen, eine Maglite, Klebeband, ein abgebrochener Billardstock, ein Rucksack, aus dem oben der Schaft seiner abgesägten Pumpgun herausragte. Bis auf den Queue und die Schrotflinte sah alles ladenneu aus. Die Schrot. Mir wäre lieber gewesen, wenn er die daheim gelassen hätte. Ich fragte mich, wie weit er zu gehen bereit war für etwas, das ihn im Grunde noch viel weniger anging als mich.
    Ich sah ihn mir an. Seine Finger flatterten in einem fort hin und her, fummelten an den Knöpfen des Radios und den Schiebern der Klimaanlage herum, trommelten auf das Lenkrad, bedienten den Blinker und das Fernlicht. Man hätte meinen können, er sei nervös. Sein rechter Fuß bearbeitete das Gas wie einen Wippschalter: an oder aus. Mit jedem Kickdown wuchtete es uns mit erstaunlicher Gewalt nach vorne. Der Motor stand wirklich gut im Futter.
    »Hier.« Er warf mir eine Michelin-Karte in den Schoß. Ich schlug sie auf, knipste die Leselampe an und versuchte, mich zurechtzufinden. »Ich habe mit Filzstift schon mal drei Routen eingezeichnet.« Er tippte aufgeregt mit dem Finger, ganz blitzende Augen und Zähne. Er war verdammt gut drauf. Dafür, daß wir in nicht ganz zwei Stunden schon hinter Gittern sitzen könnten, war er wirklich verdammt gut drauf. »Die Rote ist die Schnellste zur Autobahn. Die Blaue ist die am wenigsten Befahrene. Die geht praktisch nur über Land.«
    Ich sah uns auf der Autobahn, auf allen Seiten umgeben von einer blaulichtblinkenden Eskorte. Ich sah uns auf der Landstraße, an einer kuhfladengespickten Kreuzung Kreise drehend, hektisch debattierend, in welche Richtung wir müßten. Während ringsum die Bullen in aller Gemütsruhe ihre Straßensperren aufbauten und die guten Kugelsicheren überzogen.
    »Und die Grüne geht in direkter Linie zur Autobahn. Allerdings nur querfeldein über Äcker und Wiesen, weshalb ich sie noch nicht gefahren bin.«
    Ich sah uns bis über die Achsen in der Scheiße stecken, schiebend und drückend, fluchend und schwitzend, die ganze Szene tadellos ausgeleuchtet von dem Hubschrauber über unseren Köpfen ... Mir waren alle drei Routen gleichermaßen unsympathisch. Ich seufzte.
    »Du hast Muffe.« Es war eine Feststellung.
    Ich seufzte noch mal. Er hatte ja recht. Meine Phantasie versorgte mein Hirn mit einem brillianten Feuerwerk von Möglichkeiten. Möglichkeiten des Scheiterns. Um mich abzulenken, vertiefte ich mich wieder in die Karte. Das Christopherus-Asylum war tatsächlich eingezeichnet. Ein kleines schwarzes Rechteck mitten im Nichts.
    Eine Zufahrtsstraße. Auf der Rückseite unser Kartoffelacker. Charlys Routen. Die Rote war die Logischste. Rasch zur Autobahn und weg. Sie war so logisch, daß selbst der beschränkteste Dorfsheriff auf die Idee kommen könnte, sich bei Alarm mal an die Auffahrt zu stellen und ein bißchen zu warten, wer da so vorbeikommt. Die Blaue führte durch ein Kaff nach dem anderen. Für mich führte sie vorbei an einer Polizeiwache nach der anderen. Und die Grüne sah mir nach metertiefen Gräben und jeder Menge Stacheldraht aus. Ich seufzte. Meckern ist leicht.
    »Paß auf«, sagte ich nach einer Weile intensiven Studiums. »Von unserem Kartoffelacker weg führt dieser, ich sag mal, Feldweg.« Es war nur eine dünne, gestrichelte Linie. »Hier, nach ca. einem Kilometer, kreuzt er eine Bahnlinie.« Eine Werksbahn. Die Schienen endeten in einem größeren Industriekomplex weiter oben auf der Karte. »Und die Bahnlinie«, sagte ich und hielt ihm die Karte hin, »führt direkt an diesem Autobahnparkplatz vorbei.«
    »Erst verduften wir über die Schienen, wo uns keiner folgen kann, und dann schleichen wir uns sozusagen hintenrum auf die Autobahn?« Charly schob die Unterlippe vor und wog den Kopf hin und her. »Huu-u-huu«, machte er. »Wenn ein Zug kommt, sind wir in den Arsch gefickt.«
    Ich steckte mir eine an, sah aus dem Fenster, raus in die Nacht. Wir

Weitere Kostenlose Bücher