Prickel
soviel wie zu niesen, und schon kommt sie um die Ecke, blickt mich an wie einen Mörder, und das Kartoffelschälmesser zittert in ihrer Hand.«
»Ja, sie kocht. Und ich meine kochen«, sagte er und hackte mit einer kleinen Klinge auf ein wenig weißes Pulver vor ihm auf dem Schreibtisch ein. »Keine aufgewärmte Tiefkühlkost. Nichts, was man nur eben in den Herd oder die Mikrowelle schieben muß und >Ping<, fertig. Auch kein Dosenfraß, keine Tütensuppe. Sie war richtig einkaufen, beim Türken, auf dem Markt. Salat, Gemüse, Sahne, Fleisch. Lauter frische Sachen. Es ist erstaunlich.« Er zog das kleingehackte weiße Pulver mittels eines Röhrchens erst in das eine, dann das andere Nasenloch. Schnüffelte ein bißchen, schmatzte kurz mit den Lippen. Lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück und steckte sich einen Joint an. Hielt ihn mir hin, doch ich winkte ab.
»Nein?« fragte Scuzzi. »Auch gut. Wo war ich? Ah ja. Und der Grund, ja genau, warum mich das alles so erstaunt, ist der -« Er sah mich nachdenklich an. »Patsy wohnt hier seit fast einem Jahr, doch bis heute wußte ich noch nicht mal, daß sie überhaupt kochen kann.«
Ich ließ mich in einen Sessel fallen, lehnte den Kopf zurück und starrte die Decke an.
»Was schätzt du, wann er das nächste Mal die Döppen aufmacht?«
Scuzzi zuckte die Achseln, sah auf seine Uhr. »So in circa zwei Stunden sollte es Abendbrot geben. Frühstück und zweites Frühstück hatten wir schon; Mittagessen auch, dann Kaffee und Kuchen und gegen fünf ein paar Käsehäppchen und Sandwich-Ecken. Wenn das so weitergeht, bin ich in nicht ganz vier Wochen fett wie ein Buddha.«
»Und wie ist er so, wenn er nicht pennt?«
Wieder dieses Achselzucken. »Müde, würd ich sagen. Fertig, ganz sicher. Geschafft. Du merkst ihm an, daß er in letzter Zeit einiges mitgemacht hat. Im Augenblick ist er ruhig, doch manchmal stöhnt und wimmert er im Schlaf, daß es einem durch und durch geht. Ich stimme ja selten mit ihr überein, doch im Moment scheint es wirklich das Beste zu sein, ihn schlafen zu lassen.«
Schöne Scheiße, dachte ich.
Scuzzi konsultierte den draußen vor seinem Fenster montierten, gewölbten Lkw-Außenspiegel.
»Wie bist du hergekommen?« fragte er. »Ich seh deinen Haufen gar nicht.«
Ich schilderte ihm kurz mein Entweichen als Blinder Passagier auf der Ladefläche eines Cola-Lasters und dann, in allen Einzelheiten, wie oft und von welchem Verkehrsmittel in welches andere ich anschließend hatte umsteigen müssen und was man mir dafür abgeknöpft und wie lange die ganze Prozedur gedauert hatte. »Und hier«, schloß ich mit einer Frage, »irgendwelche Vorkommnisse?«
Scuzzi nahm den Blick von seinem Spiegel und schüttelte den Kopf. »Alles ruhig. Ah, da fällt mit etwas ein: Heckenpennes hat angerufen. Er läßt sich entschuldigen, hat irgendwelche Probleme mit seinem Programm. Will sich aber wieder melden.«
Heckenpennes. Ja. Das brachte eine kleine Kette von Gedankengängen in Schwung, an deren Ende ich mich mit der Hand in der Innentasche meiner Lederjacke wiederfand. Meine Finger umfaßten den kleinen Bilderrahmen, zogen ihn ans Licht. Der Doktor und seine an sieben Jahre Dürre und die Freuden der Entsagung gemahnende Gattin starrten mich an. Wegen dieses Fotos hatte, wenn ich mich nicht irrte - was immer drin ist - wegen dieses Fotos hatte jemand - hatten zwei Mann - sich der Mühe unterzogen, mein Auto zu durchwühlen und waren sogar so weit gegangen, zu versuchen, in meine Wohnung einzubrechen. Wenn ich mich nicht irrte. Ich machte eine mentale Notiz, heute abend noch mal in der >Endstation< vorbeizuschauen und ein paar Worte mit Bernhard zu wechseln. Ich hatte immer noch keine Beschreibung der beiden Typen, doch ein Gefühl sagte mir, daß einer der beiden einen Bart trug und der andere ordentlich Fleisch auf den Rippen hatte.
Es mußte einen Wert besitzen, dieses Bild, der weit über das Materielle hinausging. Und zwar für den Doktor, für ihn ganz persönlich. Erinnerungen? Vielleicht war der hagere Säbelschnabel verblichen, und der grundgute Doktor zerdrückte eine Träne im Knopfloch, jedesmal wenn er sich und das Foto allein und unbeobachtet wußte? Nostalgische Tränen beim Gedenken an glücklichere Tage? Die Vorstellung war grotesk. Der Doktor war kein Typ für Sentimentalitäten, und seine Gattin war nicht der Typ, vor irgend jemandem zu sterben. Oh nein. Sie war, zumindest vom Bild her, genau die Sorte von Familientyrannin, die
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