Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
Bitterkeit, und drückte den Finger auf die Gabel. Zählte bis drei, ließ wieder los und fragte: »Ja?«
    »Was? Kristof? Hat es bei dir schon geklingelt? Ich hatte gerade erst gewählt. Gibt es was Neues wegen meiner Motoren?« Heiner Sültenfuss. Ich klatschte mir an die Stirn. Nein. Leider nein. Doch ich blieb dran. Keine Sorge. Ehrlich.
    Der nächste war ein Typ von der Zeitung. Ich kannte ihn, flüchtig. Am Telefon war er immer scheiße-freundlich, doch in den paar Artikeln, in denen ich es geschafft hatte, namentlich und im Zusammenhang mit meiner beruflichen Tätigkeit erwähnt zu werden, (anstelle von: >Unbekannter versenkt schwimmende Kunstobjekte< oder >Nächtlicher Anrufer droht Radiosender mit Anschlägen<), hatte er es noch jedesmal für nötig befunden, ein >halbseiden< vor meine Berufsbezeichnung zu setzen. Jetzt wollte er wissen, ob an den Gerüchten etwas dran wäre, daß ich in die Befreiung von Roselius verwickelt sei. Ich tat entsetzt, fragte panisch, wer ihm solche Informationen gegeben hätte und vertraute ihm schließlich mit halblauter Stimme und unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, meiner Ansicht nach stecke die Russenmafia hinter der ganzen Angelegenheit. Und nein, mehr könne ich unmöglich dazu sagen. So, tschüs. Halbseiden, mein Arsch.
    Es war zur Zeit der Landesgartenschau gewesen: Irgendeine zwangsneurotische Künstlerin jenseits des Punktes, an dem man sich noch Sorgen macht, die Leute könnten einen für geistig instabil, krank halten, hatte unsere in auffallend ähnlicher Weise enthemmte Stadtverwaltung dazu gebracht, ihr nicht nur für eine unglaubliche Summe mehrere knallrote, riesige Plastikpimmel und -euter abzukaufen, sondern die peinlichen Dinger auch noch mitten auf dem allseits beliebten Thyssenteich zu verankern. - Jetzt hätte mir das ja wurscht sein können. Ich habe keinen Hund auszuführen, keinen Kinderwagen zu schieben und bin auch ansonsten kein großer Lustwandler. Aber der Sommer war heiß und mein LieblingsBiergarten liegt so, daß man auf dem Weg dorthin unweigerlich am Thyssenteich vorbeikommt. Und zurück erst recht .
    Und diese ohne Erbarmen von morgens früh bis abends spät alle halbe Stunde ausgestrahlte, mit einem unerbittlich lustigen Schuhplattler unterlegte, bodensatz-bajuwarische Weißbierreklame macht mich winden. In Krämpfen. Wieviel kann man, wieviel muß man sich eigentlich bieten lassen? Ich frage mich oft, ob ich mit dieser meiner Rage alleine dastehe, oder ob da draußen nicht noch mehr, noch viel mehr Leute an der Grenze zum Ausrasten vor sich hinköcheln, lebende Zeitbomben, um den Verstand gebracht nicht zuletzt von der impertinenten Debilität der Radiowerbung. Bin ich wirklich der einzige, der je da angerufen und gedroht hat: »Noch einmal dieser Weißbierspot, und es gibt ein Blutbad!«? Wohl kaum. Nun denn, wenn der Tag kommt, an dem wir uns erheben, an dem wir die Sendemasten fällen und die Werbetexter lynchen, können sie zumindest nicht behaupten, sie seien nicht gewarnt worden.
    Kaum aufgelegt, klingelte es erneut, und ich hatte Menden am Rohr. »Kryszinski«, sagte er, »wir haben den Overall gefunden. Sie wissen schon. Den einer der Täter getragen hat. Sie haben doch sicher den Fernseher laufen?« Ich machte ein zustimmendes Geräusch. Es klang ein bißchen rauh. Trockener Hals, irgendwie.
    Roselius' Fahndungsfoto füllte den Bildschirm. Wäre da nicht dieser hilflose Gesichtsausdruck mit dem etwas schlaffen Kinn gewesen, ich hätte ihn beinahe nicht wiedererkannt. Bis zu seiner Bekanntschaft mit dem Haarkünstler der Anstalt muß er einen prächtigen Lockenkopf gehabt haben. Und Pausbacken. So, vom Foto her, hätte es einen nicht gewundert, wenn er hinter sich auf dem Rücken zwei kleine Flügel und eine Leier oder ein Füllhorn unter dem Arm geklemmt hätte. Vor allem aber sah er kein bißchen aus wie der durch die ärztlichen Heilmethoden der letzten Zeit gezeichnete Roselius, der sich in Oberhausen vor der Polizei versteckt hielt.
    Dreitausend Eier waren ausgesetzt für >sachdienliche Hinweise<. Außenaufnahmen vom Christopherus-Asylum folgten. Nicht ohne ein leichtes Aufflammen von Stolz mußte ich bemerken, daß wir ein wirklich beeindruckendes, beinahe quadratisches Loch in die Wand gerissen hatten. Falls niemand auf die Idee käme, die gesamte Fassade neu einzuputzen, würden wohl noch meine Enkel auf die Einladung zu einem Sonntagsausflug mit der Entgegnung >Aber nicht wieder nach Ratingen, diese langweilige Wand

Weitere Kostenlose Bücher