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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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    Sie ließen die Kamera über den Acker schwenken. Überall wieselten Bullen herum und klaubten jeden Mist auf und verpackten ihn in Tütchen. Zwei Standfotos folgten. Eins von dem Stück Mauer mit Gitterfenster, wie es so im Acker lag, und eines von der rußgeschwärzten, reifen- und fensterlosen Karosse, die von Schweinemästers Traum übriggeblieben war.
    Viel, dachte ich, hätte beidesmal nicht gefehlt, und ich wäre jetzt mit drauf. Einmal nur meine Füße, wie sie unter dem Mauerstück hervorlugten, und einmal nur mein verkohltes Skelett auf dem Drahtgerippe des Beifahrersitzes.
    Schließlich zeigten sie das, worauf ich wartete: Die unscharfen, nachträglich aufgehellten Nachtaufnahmen einer billigen Überwachungs-Videokamera. Ich rückte näher ran. Ein Kerl in einem dunklen Overall bugsierte eine bedauernswert dreinblickende Gestalt in einem weißen Kittel auf eine von draußen in den Raum hineinragende Leiter und stieß sie dann nach kurzen Verhandlungen mitsamt Leiter recht rüde in die Nacht hinaus, bevor er selber mit wehenden Hasenohren seiner Strumpfmaske in die Tiefe und damit aus dem Blickfeld der Kamera verschwand.
    Es sah tatsächlich mehr nach einer Entführung als nach einer Befreiung aus.
    Ich war schon ein Genie, auf meine Art. Alles, was ich jetzt noch machen mußte, war, diesen Det zu finden, zu identifizieren und ihm den Mord nachzuweisen und alles wäre in Butter. Einfach alles.
    Ich hatte Menden in der Leitung fast vergessen, obwohl ich den Hörer noch am Ohr hielt.
    »Und raten Sie mal, was wir in einer der Taschen entdeckt haben?«
    »Ein notariell beglaubigtes Geständnis«, riet ich. »Eine Quittung. Auf Ihren Namen.«
    »Donnerschlag«, sagte ich. »Wie konnte mir das nur passieren? Jetzt haben Sie mich. Ich gestehe alles.« Ich mag ja in vieler Hinsicht nicht alle Murmeln im Kästchen haben, aber so bekloppt bin ich nun auch wieder nicht.
    Am anderen Ende der Leitung erklang ein kurzes, schwaches, tonloses Hecheln, etwas wie die Basisversion eines Lachens; die ohne Klimaanlage und Seitenairbags.
    »Haben Sie sich das Video genau angesehen?« fragte Menden, nachdem er diesen Exzeß der Heiterkeit unbeschadet hinter sich gebracht hatte.
    »Na, ja. Klar. Schließlich ist er immer noch mein Klient.«
    »Fast drei Meter.«
    »Fast drei Meter was?«
    »Höhenunterschied. Fast drei Meter freier Fall bis runter auf den holprigen Acker. Der Kerl kann von Glück sagen, wenn er sich nicht die Knochen gebrochen hat.«
    Urplötzlich spürte ich meinen Knöchel wieder. Mit aller Gewalt zerrte ich mir die Szene von vor einer Stunde wieder vor Augen: Ich komme zur Türe rein, Menden steht in meiner Küche, ganz in Betrachtung meiner Portraitsammlung versunken und wendet nicht einmal den Kopf ... Ich hatte mich voll darauf konzentriert, wach auszusehen, munter . An meine Füße hatte ich keinen Gedanken verschwendet ...
    »Kam es mir nur so vor, oder haben Sie vorhin beim Reinkommen einen Fuß nachgezogen?«
    Ich wußte es nicht zu sagen. »Jeder Mann würde nach einer Nacht wie der, die ich hinter mir habe, wohl ein wenig mit den Füßen schleifen«, meinte ich ausweichend.
    »Ich habe gerade mit Bottrop telefoniert.« Aah, Themenwechsel. »Man sagte mir, Sie hätten so Ihre eigene Theorie zu dem Mordfall Siebert?«
    »Ja«, sagte ich eilig. »Ich bin von Roselius' Unschuld überzeugt. Die ganze Sache wurde ihm außerordentlich heimtückisch angehängt. Und ich bin auch überzeugt davon, daß der wahre Täter frei herumläuft und in aller Seelenruhe dabei ist, den nächsten Mord vorzubereiten.« Ein kurzes Schweigen folgte. Mein Ohr wurde langsam heiß. Ich lockerte den Griff etwas, mit dem ich den Hörer dagegenpreßte. Das hier war kein Gespräch, das war ein Balanceakt.
    »Schön und gut«, meldete sich Menden schließlich wieder. Er klang einigermaßen nachdenklich. »Doch selbst angenommen, Sie hätten recht. Und nicht nur das -angenommen, es war tatsächlich so und die Wahrheit käme heraus, Roselius würde entlastet - da bliebe immer noch der Tatbestand der Gefangenenbefreiung. Wissen Sie eigentlich, was darauf steht?«
    »Irgendwie«, sagte ich, »habe ich so ein Gefühl, daß man niemals dahinterkommen wird, wer das gemacht hat.« Wenn unser Bernd eines gut kann, dann den Mund halten.
    »Wenn Sie sich da mal nicht täuschen«, meinte Menden, und wir hängten auf.
    Manchmal, wenn man genau an der Kante zum Meer am Strand steht und einem eine Welle über die Füße

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