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Prickel

Prickel

Titel: Prickel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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nachmittags wieder zurück sein. Und vor heute abend hatte es wenig Zweck, meine Suche nach Det wieder aufzunehmen.
    Ich pumpte Heckenpennes um einen Blauen an, setzte ihn am Flughafen ab und ging auf die Bahn.
    Die Fahrt verlief relativ ereignislos und beinahe angenehm, abgesehen einmal von den üblichen potenzproblembehafteten Audi-BMW- und Mercedes-Lichthupenhysterikern. Sobald ich rübergerückt bin und sie vorbeikommen, seh ich sie mir immer an, wie sie sich unter orgiastischem Aufstöhnen wieder aufs Gas stemmen. Vielleicht wird man ja unweigerlich so, denke ich dann oft, wenn alle im Büro/Verein/Bekanntenkreis/Stadtviertel wissen, daß deiner ganzen zwanghaften Angebereien zum Trotz dein schrumpeliger kleiner Pimmel nicht mehr härter wird als ein Marshmallow und bestenfalls noch zum Pissen taugt. Vielleicht. Wer weiß.
    Trotzdem regen sie mich auf.
    Strasbourg lag unter einem strahlend blauen Himmel. Der Verkehr war wüst und das Straßennetz unübersichtlich, doch wer aus Mülheim an der Ruhr kommt, ist in der Hinsicht nicht mehr zu schrecken. Noch an der Autobahn hatte ich einen Stadtplan mitgehen lassen und fand die Adresse ohne großes Theater. Dr. Ivan Schaeffer wohnte in einem freundlich aussehenden Häuschen in einem sympathischen, alten Viertel etwas außerhalb des Zentrums.
    Hoffentlich ist er auch da, dachte ich und klingelte an der Haustür. Eine Weile lang passierte nichts. Ich massierte meine Schläfen, weigerte mich, auch nur den Gedanken daran zuzulassen, eventuell viereinhalb Stunden lang das Gedröhne meines abgerissenen Auspuffs für Nüsse ertragen zu haben und klingelte noch mal. Schließlich, ich wollte mich schon auf die Stufe setzen - an eine sofortige Rückfahrt war nicht zu denken, nicht mit einem Kopfschmerz wie diesem - näherten sich drinnen schlurfende Schritte und die Türe schwang knarzend auf. Ein hagerer Greis mit gelblicher, durchsichtiger Haut und einer scharfen Nase starrte mich unter einem Gärtnerhut hervor unfreundlich an. Er trug ein verschossenes Flanellhemd über einer grauen Hose von ähnlichem Schnitt wie die, die bei mir zuhause auf dem Badezimmerboden lag und darauf wartete, weggeschmissen zu werden, und grüne Gummistiefel, die in großen Überpantinen aus Filz steckten.
    »Guten Tag«, sagte ich und beugte ein wenig förmlich das Haupt dazu. »Sind Sie Professor Schaeffer?«
    »Ich war im Garten«, sagte der Greis. »Und Professor auch.«
    Ich verstand nicht ganz. Man sah es mir an.
    »Ich war mal Professor. Ich bin es nicht mehr.« Er hatte die Stimme gehoben. »Ich bin alt«, rief er ungeduldig.
    »Also, was wollen Sie?«
    Das ist immer so ein Moment, in meinem Beruf. Man steht jemandem zum ersten Mal gegenüber und muß spontan entscheiden, was man ihm auftischt und als was man sich ausgibt. Jedesmal die Wahrheit zu sagen, hieße, sich andauernd mit der Nase platt vor frischverschlossenen Türen wiederzufinden.
    »Mein Name ist Kryszinski«, sagte ich. »Ich bin Privatdetektiv und versuche, Informationen über einen Ihrer früheren Studenten zusammenzutragen. Sein Name ist Victor Blandette.«
    Man braucht ein Gespür für die Leute.
    Dr. Schaeffer sah einen Augenblick lang mit halbgeschlossenen Augen zur Seite, ganz so, als wäre ich der mindestens achte Spendensammler heute Vormittag und er in momentaner Verlegenheit, was noch nicht verwendete Kraftausdrücke anging.
    »Erinnern Sie sich noch an ihn?« fragte ich, wie immer bemüht, nur ja kein Schweigen entstehen zu lassen.
    »Erinnern Sie sich noch an ihn?« äffte er mich nach.
    »Erinnern Sie sich noch, Professor?« Sein Augen blitzten wütend. »Ich kann kaum zum Bäcker gehen, ohne daß ein Sportwagen mit quietschenden Bremsen neben mir anhält und ein Schnösel mit einem Krokodil auf dem Hemd herausspringt, sich mir in den Weg stellt und mich das fragt: Erinnern Sie sich noch an mich? Erinnern Sie sich noch an mich?« Seine Stimme reichte bis auf die andere Straßenseite.
    »>Wie soll ich?< frage ich dann immer zurück. Ich bin alt! Und ich habe mich mit Tausenden von eurer Sorte herumgeärgert!« Er schnaubte mißmutig und wandte sich von mir ab.
    »Aber an Victor Blandette«, murmelte er und winkte mir, ihm zu folgen, »an den erinnere ich mich gut.«
    »Treten Sie sich die Füße ab!«
    Ich folgte ihm in den Flur, ins Wohnzimmer. Auf einer - wie sagt man? - Anrichte? - stand eine gerahmte Fotografie einer älteren Frau mit lebhaften Augen und einem durchaus kessen Lächeln. Eine schwarze Schleife

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