Priester des Blutes
Der Priester des Blutes, von unserer Blutlinie, schläft in Alkemara, aber das ist eine Totenstadt des Grauens, und niemand von uns wagt es, unsere Ruhestätte zu verlassen, um herauszufinden, ob die Legende der Wahrheit entspricht.«
»In der Stromvision«, sagte ich, »erfuhr ich den Namen des Priesters: Merod. Er besaß einen Stab von großer Macht, und ich erfuhr auch dessen Namen. Um den Stab ringelten sich Schlangen, und er wurde ›Stab der Nahhashim‹ genannt.«
»Nahhashim«, erwiderte sie, und ihr Blick verdüsterte sich. »Die Tore. Die Tore.«
Noch während sie sprach, fühlte ich, wie der Tod der Nacht begann und der Morgen geboren wurde. Ich schloss meine Augen, lauschte ihren letzten Worten und erinnerte mich an diese schrecklichen Schatten, die von meiner Vernichtung flüsterten. Nahhashim, wisperten sie, Maz-Sherah, wir kennen dich nun. Ihre Gestalten wirbelten im Traum vor mir herum, und der Tag zog sich hin, während ich schlief.
Als ich aufwachte, war ich allein.
Kiya war bereits verschwunden und zu ihrer nächtlichen Jagd aufgebrochen.
Ich setzte mich auf, da ich et was in meiner Nähe spürte. Als ich einen Blick auf mein Bett in der Erde warf, fiel er auf den dort liegenden Ewen. Ich betastete seine Wange, doch das Leben im Tod war noch nicht über ihn gekommen. Daher deckte ich ihn mit einem Umhang zu und machte mich auf die Jagd. Nach dem Blutmahl setzte ich mich zu Yarilo und stellte ihm weitere Fragen zu den Dingen, die ich in meinen Visionen gesehen hatte.
»Prophezeiungen aus alter Zeit können uns ebenso wenig hinterlassen, wie die Menschenvölker die Zeit ihrer Vorfahren in den Höhlen der Welt zu vergessen vermögen«, sagte er. »Das alles ist Rattenasche.« Er lachte, als er meine Verwirrung angesichts dieses Ausdrucks bemerkte. »Hast du noch niemals eine Ratte verbrennen sehen?«, fragte er. »Diese Legenden sind alle Rattenasche. Sie sind bedeutungslos. Wesen unserer Art schlafen inmitten der Toten und trinken von den Lebenden und den Toten, um zu überleben. Die Menschen jagen uns, denn wir sind ihre Feinde. Es ist unsere Verdammnis. Sonst gibt es nichts.«
»Du glaubst, wir sind verdammt?«
»Mein Freund«, erwiderte er mit Einer fuchsartigen Grimasse, »wir können das Sonnenlicht nicht ertragen. Möglicherweise schlagen uns Menschen den Kopf ab, wenn wir tagsüber schlafen, und beenden auf diese Weise unser Leben. Oder sie pfählen unser Herz, so dass wir unsere Gräber nicht mehr ver lassen können. Oder sie holen uns heraus in die Strahlen der Mittagssonne, so dass wir innerhalb eines einzigen Augenblicks zu Staub zerfallen. Selbst ihr Silber ver nichtet uns. Wir fühlen uns mächtig, da wir sie jagen, aber in Wirklichkeit sind sie diejenigen, die über die Macht verfügen. Wir können keinen großen Vorsprung vor ihnen gewinnen, wenn sie in großer Zahl herkommen. Ich habe bereits auf Hügeln gesessen und zu gesehen, wie diejenigen unserer Art vor dem Sonnenaufgang davonliefen, während Menschen auf Pferden aus dem Norden an griffen. Ich habe die Auslöschung vieler beobachtet. Es gibt weniger als zwanzig von uns, obgleich vor einigen Jahrzehnten noch bei nahe siebzig von unserem Stamm existierten. Von diesen erfuhr ich, dass es vor mir Hunderte gab. Alle von ihnen erlebten die Auslöschung, doch bevor sie dies taten, waren sie von genau den gleichen Menschen gequält und gemartert worden, die uns Dämonen nannten.
»Wenn wir ausgelöscht worden sind, so endet die Qual niemals.
Und das ist der Grund, warum ich so gerne von ihren Kindern trinke. Warum ich es liebe, einen Säugling zu packen und vor den Augen seiner Mutter auszutrinken, und dann sie selbst zum Trinken in mein Bett zu holen und ihr Entsetzen und das Leid in ihren Gedanken zu spüren, bevor ich den letzten Rest ihres Blutes ausgetrunken habe. Ich bin der Dämon und das Ungeheuer. Obwohl wir über keine große Herrschaft verfügen und auch nicht gut ohne ein Grab tief in der Erde oder die verborgene Gruft überleben können, fürchten sie uns. Uns, die wir nur dann Blut trinken, wenn der Durst groß ist. Ich habe gesehen, wie tausend Menschen durch die Hand von tausend anderen starben. Und dabei ernähren sie sich nicht von dem, was sie töten - sie metzeln einfach nieder, ohne besonderen Sinn und Zweck.«
»Und dennoch warst du einst wie sie.«
»Richtig.« Er nickte, wobei ihm sein langes, dichtes Haar über die Schultern fiel, so dass er durch und durch nach einem Barbaren aussah. »Ich war
Weitere Kostenlose Bücher