Priester des Blutes
geliebt hätte, hätte ich dann nicht der Versuchung widerstanden, sie zu besitzen? Damals hatte ich das Gefühl, mein ganzer Schmerz stammte daher, dass ich meinen Platz im Leben nicht kannte. Wie mein Großvater es mich gelehrt hatte, so hatte ich geglaubt, dass ich zu Größerem bestimmt wäre als dem Schlamm. Ich hatte geglaubt, dass ich der Tochter des Barons ebenso würdig war, wie es ein Prinz gewesen wäre. Ich hatte zuweilen geglaubt, dass meine
Mutter weniger wert war als ein Hund. Ich war ihrer Güte gegenüber blind gewesen, bis es zu spät war. Ich hatte nur das gesehen, was schlecht an ihr war, und ich spürte die Last des Verlustes und die meiner eigenen Eitelkeit. Gab es nichts an mir, das der guten, himmlischen Seite angehörte?
Wie ein Hund würde ich sterben, nach dem Hundeleben, das ich geführt hatte. Ich würde für diese zahlreichen Sünden leiden, für die Torheit meiner Kindheitsträume, dafür, dass ich mich nicht genügend um meine Familie gekümmert und meine Mutter nicht geehrt hatte, bis es zu spät war, als dass dies noch eine Rolle gespielt hätte. Mir kam die Freundlichkeit meines Großvaters in den Sinn. Dann fiel mir ein, wie ich den kleinen Stein aus der großen Eiche stahl, da ich gedacht hatte, er würde mir Glück bringen, obwohl er eigentlich in dem Baum hätte bleiben sollen, als eine Erinnerung vergangener Generationen an unsere Blutlinie. Ich konnte Corentin, der begonnen hatte, mir wie ein dunkler Schatten auf meinem Dasein zu erscheinen, nicht für alle Fehler in meinem Leben verantwortlich machen. Er war mehr als nur mein Halbbruder: auf irgendeine nicht in Worte zu fassende Art teilte er meine Seele mit mir. Ihn verabscheute ich auf die gleiche Weise, wie ich einen Teil von mir selbst verabscheute, und ich wünschte, ich könnte einen Dolch nehmen und mich damit selbst von diesem Schatten befreien.
Ich lag in einem stinkenden, dunklen, kleinen Gefängnis, böse zugerichtet und fast ohne Bewusstsein, und wünschte mir den Tod, wünschte mir Vergeltung, wünschte mir, mich von den Sünden meiner Vergangenheit reinzuwaschen. Zwar wurde mir später erzählt, dass ich mein Bewusstsein sehr bald wieder erlangte, doch meine Erinnerungen an jene Zeit bleiben verschwommen. Ich erinnere mich daran, dass ich mich in einem engen, dunklen und geschlossenen Raum befand, noch immer gefesselt, mit ausgetrockneten Lippen. Dann gab es Licht, wenn auch nur kurz,
und Wasser. Ich erinnere mich daran, dass mein Körper arbeitete, ob ich nun aufstehen und einen Ort finden konnte, um mich zu erleichtern, oder nicht.
Ich fragte mich nicht, ob dies der Himmel oder die Hölle war, sondern wusste, dass es der Beginn meiner Reise fort von meiner Heimat war, fort von jener schrecklichen Feuerstelle, an der ich geschlafen hatte, fort von meinen Lieben. Es fühlte sich an, als wäre ich in Eis gepackt worden, nicht allein auf Grund der nasskalten Atmosphäre, in der ich mich befand, sondern auch wegen des Winters, der in meinem Herzen herrschte. Als ich noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte Mere Morwenna zu mir gesagt, dass die einzige Hölle, die es gäbe, die Trennung von den Menschen wäre, die man am meisten liebte, und ich bewies nun, dass sie Recht hatte: Ich dachte an nichts anderes als an Alienora, die Herrin von Withors, die Jungfrau, die in diesem Augenblick vielleicht für die Sünde litt, die ich ihr durch meine Lust auferlegt hatte.
Ich versuchte mich an ihr Gesicht zu erinnern, dachte an das heilige Wasser, das wir in unserer letzten Nacht geteilt hatten, bevor das Unglück, dass wir uns auf ewig trennen mussten, über uns kam. Doch trotz meiner Hoffnung, sie vor meinem geistigen Auge zu sehen, beschwor ich nur Dunkelheit herauf. Ein anderes Gesicht erschien vor mir: das meiner Mutter in den letzten Momenten ihres Lebens. Meine liebe Mutter, auf der die Welt nur herumgetrampelt hatte und die das schändliche Schicksal der Verdammten erleiden musste, und zwar vor der gesamten Gemeinde, die ich einst als meine Heimat betrachtet hatte.
Die Erinnerung an den verbrennenden Körper meiner Mutter auf dem Scheiterhaufen hallte als gelbe und rote Echos in meiner Seele wider, und ich bezweifelte, sie jemals im Fluss des Vergessens abwaschen zu können. In ihren Augen hatte sich das Leid Unserer Lieben Frau selbst widergespiegelt, als wir uns kurz geküsst hatten und bevor ich von ihr fortgerissen wurde. Bevor die
Fackel des Henkers die dornigen Zweige unter ihren Füßen in Brand setzte.
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