Priester des Blutes
ich da erblickte, ein Geist war. In diesem Land waren wir an der Grenze zu Himmel und Hölle, und
jeden Augenblick konnten Dämonen auftauchen, um uns unsere Seelen zu nehmen.
Dieses fremde Antlitz jagte mir anfangs einen Schrecken ein, da ich dachte, es könnte ein Zeichen meines eigenen Wahnsinns oder irgendein dämonischer Trick eines Ungläubigen sein. Wir waren vor der gottlosen Zauberei der Feinde und ihren Verbrechen gegen die Natur und den Himmel gewarnt worden. Ich hatte von seltsamen Grabhügeln gehört, in deren Nähe Wesen namens Ifrit, Ghule und Dschinn, die Dämonen dieser Welt, angeblich leichtsinnige Reisende angriffen. Wir hatten wahrhaftig Angst vor diesen Dingen, obwohl unsere Mönche - von denen viele gleichzeitig auch mit dem Schwert kämpften - uns erzählten, dass der Erlöser und Unsere Liebe Frau uns beschützen und in den Himmel aufsteigen lassen würden, um uns vor diesen Dämonen zu bewahren.
Als ich also dieses Gesicht erblickte, dachte ich zunächst, ich sähe einen Geist, und dann meinte ich einen Ghul zu erblicken, eine Sinnestäuschung durch den Feind. Und doch konnte der Mann, den ich sah, ebenfalls nicht aufhören, mich anzusehen. Der Rauch trübte die Luft weiterhin, und ich lief hindurch, auf ihn zu, wobei meine Schritte über Leichname und auch über diejenigen führten, die gefallen, aber noch nicht gestorben waren. Ich fürchtete mich nicht, und dennoch schlug mein Herz in einem rasenden Tempo. Ein breites Lächeln ließ sein Gesicht aufleuchten, und augenblicklich erkannten wir uns.
Er schrie auf: »Vogeljunge!«
Ich lachte und rannte zu ihm. Hauptsächlich war mir seine Stimme vertraut vorgekommen, und dann erkannte ich sofort das Gesicht und den Mann. Es war mein Bruder Frey. In den Jahren, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte, war er groß und kräftig geworden. Seine Augen und sein Lächeln waren allerdings noch immer die des kleinen, mageren Knaben, der er in seiner letzten Nacht
in unserem Haus gewesen war, bevor er in die große, weite Welt hinauszog. Über der linken Gesichtshälfte trug er eine Art Tuch, das um seinen Kopf geschlungen war und die Narben verdeckte, die unsere Mutter ihm zugefügt hatte, als sie ihn in ihrem Zorn mit Öl verbrannt hatte. Wir umarmten uns lange, und ich spürte Tränen in den Augen, denn der Mensch, den ich hier in den Armen hielt, war mehr als mein verloren gegangener Bruder. Dies war ein Zeichen von Gott selbst, dass Gutes aus Schlechtem entstehen konnte, dass in der Düsternis des Lebens auch Glück existierte. Ich war von Freunden, Brüdern und Waffenbrüdern umgeben. Es gab wahrhaftig keinen Ort, an den ich mehr gehörte als an diesen.
Mein Bruder Frey roch nach Zwiebeln und Staub, doch dies war der wunderbarste Duft, den ich mir nur vorstellen konnte. Da ist etwas an den Verwandten, das sich unauslöschlich einprägt, in das Blut, in die Erinnerung … und sie zu riechen und zu spüren ist etwas Unvergleichliches. Seine Arme um mich zu spüren, fühlte sich an, wie nach Hause zu kommen. Als wir einander losließen, um zu lachen und uns zu unterhalten, hatte ich das Gefühl, als ob mich das Leben mit diesem Schicksal eher gesegnet als verflucht hätte, denn da, wo mein Bruder war, da lag mein Schicksal.
Nachdem wir unsere Waffen und unsere Ausrüstung abgelegt hatten, holte ich Ewen in unsere Runde, und wir setzten uns und sprachen über unsere Abenteuer. Betrübt erzählte ich meinem Bruder vom Schicksal unserer Mutter. Ewen fügte hinzu, dass sie dem Schicksal mutig entgegengetreten wäre und unsere Familie nicht entehrt hätte, trotz der An klagen, die gegen sie er hoben worden waren.
Frey sah mich die ganze Zeit mit hartem Blick an, und als ich meine Erzählung über die Ungerechtigkeit von Abtei und Dorf beendet hatte, sagte er zu mir: »Unsere Mutter hatte ihre Fehler. Sie trieb mich zwar aus dem Haus, doch ich war auch bereit
zu gehen. Hätte sie dies nicht getan, so wäre ich nicht zu einem Mann geworden, denn ich bin viel gereist und habe einiges von der Welt gesehen. Ein Mönch nahm mich auf. Er lehrte mich vieles über die Vergangenheit und über all das, was auf der Welt verloren ging. Ich liebte viele Frauen und habe zwei Bastarde im Languedoc. Und nun bin ich ein Krieger, nachdem ich einst ein Bauerntölpel war. Dies besitze ich als Erinnerung an unsere liebe Mutter.« Er griff sich ins Gesicht und zog das Tuch fort, das die linke Seite seiner Stirn, seiner Wange und seines Ohres bedeckte. Im Feuerschein sah ich
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