Priester des Blutes
den Schreien der Verwundeten -, an dem es um alles andere ging als um die Liebe zwischen Mann und Frau.
Er lachte erneut. »Du musst die Vergangenheit ruhen lassen, Aleric, um die Freuden zu genießen, die dir geblieben sind. Die Vergangenheit ist selbst der Tod. Gott und der Teufel, und die Engel und Dämonen, die um deine Seele kämpfen, bestimmen deine Zukunft. Die Gegenwart ist das einzige Leben.«
Aber ich erweckte noch einen anderen Geist aus der Vergangenheit. Unseren Halbbruder Corentin, den ich nie gekannt hatte. Frey jedoch hatte ihn durchaus gekannt und erinnerte sich gut an ihn. »Er war der Schlimmste unserer ganzen Brut, selbst
als er noch ein schreiendes Balg in Lumpen war«, erzählte er. In seiner Stimme lag ein Anflug von Bitterkeit, als er in die Glut starrte. »Unsere Mutter liebte ihn von ganzem Herzen. Sein Vater kam häufig zu Besuch, als ich erst drei Jahre und sechs Monate alt war, denn ich erinnere mich gut an Kenan Sensterre. Er war freundlich zu unserer Mutter und zu jedem von uns Kindern. Aber seit er den Säugling mitgenommen hat, habe ich ihn nie wiedergesehen.«
»Ich hasse den Mann«, meinte ich. »Er war es, der dafür sorgte, dass ich aus dem Schloss geworfen wurde. Er glaubte dem Wort von Corentin Falmouth und nicht dem meinen.«
»Falmouth? So nennt er sich?« Frey lachte. Er war zu einem so großen, überaus muskulösen Mann geworden, dass sein Gelächter wie das Gebrüll eines Bullen klang. »Das ist ein schöner Name für einen solchen Schweinigel. Quintin Atthefeld ist zu Corentin Falmouth geworden. Sehr bald werden wir herausfinden, dass er für seine Tapferkeit zum Ritter geschlagen wurde. Bei den Wundmalen Christi, sein Vater hat diesen Bastard gut beschützt.«
»Mögen alle Bastarde wie wir Schutz finden«, meinte ich und stimmte in das Gelächter meines Bruders ein.
Ewen, der neben mir saß, lachte ebenfalls, dann aber weinte er, denn unser Gespräch hatte dazu geführt, dass er die Heimat vermisste. Selbst der tapferste Soldat konnte um Heim und Herd weinen. Wir sprachen ein Gebet zu Unserer Lieben Frau, dass sie die Hände unserer Ritter und Glaubensbrüder in dem Heiligen Krieg führen möge, damit wir eines Tages in das Land unserer Väter zurückkehren könnten.
Und nun muss ich Ihnen noch von einer anderen Begegnung während dieses Feldzuges erzählen. Ich traf einen Knaben namens Thibaud Dustifot. Wenngleich er kaum elf Jahre zählte, war er eine alte Seele und brachte uns Wasserschläuche, wenn wir unterwegs
waren oder uns im Lager befanden. Er kannte seinen richtigen Namen nicht, aber wir nannten ihn auf Grund des Schmutzes seiner oftmals bloßen Füße Dustifot 6 . Er fürchtete sich vor dem Kampf und bat mich, auf ihn Acht zu geben. »I-ich werde Euch Wasser bringen und das ganze Brot, das ich bekomme, mit Euch teilen«, sagte er mit zittriger Stimme. Als ich ihn kennen lernte und sah, wie er anderen auf dem Schlachtfeld half, begann ich seine Angst vor denen, die älter waren als er, zu verstehen - denn viele der Soldaten behandelten ihn wie einen Hund, trotz der zahlreichen Gefälligkeiten, die ihnen der Knabe erwies. Ich konnte seinem Lächeln oder seinem Versprechen, mir zu helfen, nicht widerstehen, und wurde an die Kinder erinnert, die ich in meiner Kindheit gekannt hatte.
Die Johanniter betrachteten die Knaben, die in der Armee dienten, als heilige Unschuldige, die im Kampf Glück brachten, und dennoch wurden die Kinder im Lager gewöhnlich verprügelt, wenn sie ein Stück Brot oder getrocknetes Fleisch stahlen. Thibaud gehörte ebenfalls zu den Alten meines Heimatlandes, wobei sein Blut reiner war als das meine, und wie die Alten war er von kleinerer Statur und besaß eine dunkle Haut. Er war ein vollblütiger Kelte, und auch wenn er sich selbst einen Bretonen aus unserem Heimatland nannte, entstammte er doch einer Familie, die aus Cornwall kam. Ich erwähne ihn an dieser Stelle, weil ich diesen kleinen Knaben mit dem großen Herzen und Geist - ebenso wie meinen Freund Ewen - nun auch beschützte.
Er sprach in der Alten Sprache mit mir, von der ich einiges verstand. Mein Volk verehrte Leute seiner Art, denn er war die Ver bindung zu unserer alten Welt, in der die Bretonen ihre Blütezeit hatten, noch bevor selbst die Römer auftauchten. Obgleich er Christ war, kannte er die Waldfrauen und die Legenden um die Briary
Maids. Er kannte sogar den heiligen Hirsch von Cernunnos 7 , den weißen Hirsch, der Jäger auf die Alten Wege lockte, und
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