Priester des Blutes
und keine Farbe. Und trotz alledem war er eine stattliche Erscheinung, ein mächtiger Mann. Er sah aus wie ein heidnischer Führer, und als er den Stab in die Höhe hielt, kannte ich auf ein mal seinen Namen, als enthielte das Holz Magie.
Es war der Stab der Nahhashim, und ich nahm flüsternde Stimmen wahr. Nahhashim. Als befänden sich noch andere hier, die dieses Wort ständig wiederholten.
Als er in dieser feurigen Vision vor mir stand, sah ich, wie sich große Flügel, wie die eines Drachen, hinter seinem Rücken ausbreiteten. Mit ihrer Spannweite nahmen sie die Sicht auf den Altar. Ich erinnerte mich an den Dämon, der aus dem Brunnen in dem Großen Wald heraufgeholt worden war. Der Priester verfügte über die gleichen Flügel. Sie waren lederartig und glitschig, aber mit großen, knöchernen Spitzen, die aus der Haut ragten, wenn sich die Flügel hinter ihm zu ihrer vollen Größe ausbreiteten. Jeder Fingerfortsatz der Flügel endete in Einer knochigen Kralle.
Ich erblickte Schatten, das waren diejenigen, die das Wort Nahhashim flüsterten. Überall um den Priester herum standen noch andere Wesen, die eine menschliche Gestalt besaßen, aber gänzlich aus Dunkelheit bestanden. Ein anderes Wort, das sie wisperten, war »Maz-Sherah.«
Der Priester war möglicher weise der schlimmste Dämon aus der Hölle, mit seinen ausgebreiteten großen Flügeln und diesen schrecklichen flüsternden Schatten der Toten, die überall um ihn herumstanden. Dennoch zitterte ich nicht bei seinem Anblick.
Aber diese anderen Schatten erfüllten mich mit einer unbeschreiblichen Furcht.
Der Priester sprach in meinem Inneren, nicht mit den Worten einer fremden Sprache, sondern mit einer Feuerzunge, dieseine Worte durch mich aussprach, durch meinen Mund, von dem ich vergessen hatte, dass es ihn überhaupt noch gab:
»Die Myrrydanai kennen dich durch den Atem. Sie versuchen bereits, das Alles zu zerstören. Die dunkle Mutter selbst riecht dein Fleisch und Blut. Sie wird dich jagen. Dennoch musst du herkommen. Die Nahhashim warten auf dich. Die Kamr warten auf dich. Du musst die Rebe und die Blüte mitbringen, damit ich dich erkenne.«
Pythias Lippen schlossen sich. Ich atmete in sie aus - und sie zog sich von mir zurück.
Die Vision war verschwunden. Der Priester blieb nicht länger in meinen Gedanken. Dennoch fühlte es sich an, als befände er sich mit uns in diesem Turm. Seine letzten Worte erschienen mir wie Geister, die in meinem Kopf herumspukten.
Ich sprach seine Worte aus, in jener uralten Sprache, die mir unbekannt war, und obgleich ich ihre Bedeutung damals nicht verstand, erinnerte ich mich an die Worte Alkemara, Lemesharra, Medhya, Merod, Myrrydanai und Nahhashim.
Der Ausdruck auf Pythias Gesicht zeugte von einem tödlichen Schrecken. Zum ersten Mal sah ich sie ohne einen Ausdruck der Macht oder der Täuschung.
In diesem Augenblick wusste ich, was auch sie wusste.
Die Vision stammte aus ihrem Inneren, und als sie mir den Atem einblies, hatte ich sie auf irgendeine Weise aus ihrer Seele heraufgeholt, wie man Wasser aus einem tiefen Brunnen heraufholt.
Etwas darin ließ Furcht auf ihrem Antlitz erscheinen, und sie war nicht länger meine Mutter, meine Göttin, meine Liebhaberin, mein Kind, meine Herrin.
Sie war eine Vampyrin, einer der abscheulichen Dämonen, vor denen ich gewarnt worden war, und sie fiel nach hinten, als sie die Worte hörte.
»Nein!«, kreischte sie. Sie erhob sich wieder, doch ihr Gesicht zeigte noch immer den entsetzten Ausdruck. Aus ihren Schultern entfalteten sich Drachenflügel, die ich nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Sie traten aus ihrem Rücken heraus, als sie ihn krümmte, und plötzlich waren sie zu ihrer vollen Größe ausgebreitet hinter ihr zu sehen, wie es bei den Flügeln des Priesters der Fall gewesen war.
Sie stieg ein wenig in die Höhe, wobei die großen Flügel in der stillen, stinkenden Luft langsam flatterten.
Ich nehme an, sie wünschte sich damals, mich zu töten, aber irgendetwas hielt sie zurück. Zum ersten Mal fühlte ich das, was alle Vampyre fühlen - es wird »Strom« genannt, die Verbindung zwischen diesen Wesen und ihrer Beute.
Dieses Gefühl der Andersartigkeit konnte ich nun spüren. Indem ich den brennenden Atem von Pythia eingeatmet hatte, hatte ich die Reise auf den Tod zu begonnen.
Ich legte mich auf den Rücken, nicht imstande, mich zu verteidigen, wenn sie sich dazu entschloss, mich so fort ab zuschlachten. Da spürte ich, wie sich eine eisige Kälte
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