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Priester und Detektiv

Priester und Detektiv

Titel: Priester und Detektiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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doch sorgfältig durchgeführten Feldzügen in Indien und Afrika den Oberbefehl gegen Brasilien führte, als der große brasilianische Patriot Olivier sein Ultimatum erließ. Man weiß, daß bei jener Gelegenheit St. Clare mit sehr geringen Kräften Olivers sehr starke Macht angriff und nach heldenmütigem Widerstande gefangen genommen wurde. Und man weiß, daß nach seiner Gefangennahme zum Entsetzen der gebildeten Welt St. Clare am nächsten Baume aufgeknüpft wurde. Man fand ihn nach dem Rückzuge der Brasilianer dort hängend mit seinem zerbrochenen Schwerte um den Hals.«
    »Und diese allbekannte Geschichte ist unwahr?« fragte Flambeau.
    »Nein,« antwortete sein Freund ruhig, »diese Geschichte ist insoweit ganz wahr.«
    »Nun, ich meine, sie geht weit genug!« entgegnete Flambeau; »wenn aber das, was man sich allgemein erzählt, wahr ist, worin besteht dann das Geheimnis?«
    Mehrere hundert grauer und gespenstischer Bäume zogen vorüber, ehe der kleine Priester antwortete. Dann biß er nachdenklich an seinem Finger und begann:
    »Nun, das Geheimnis ist ein solches der Psychologie. Oder vielmehr, es ist ein Geheimnis zweier Psychologien. In jenem brasilianischen Vorfalle handelten zwei der berühmtesten Männer der neuzeitlichen Geschichte in vollem Gegensatz zu ihrem Charakter. Bedenken Sie, Olivier und St. Clare waren beide Helden – die alte Geschichte und jeder Zweifel ausgeschlossen; es war wie der Kampf zwischen Hektor und Achilles. Was würden Sie nun zu einem Vorfalle sagen, in welchem Achilles sich furchtsam und Hektor verräterisch benimmt?«
    »Fahren Sie fort,« lud der Große ungeduldig ein, als der andere wieder an seinem Finger biß.
    »Sir Arthur St. Clare war ein Soldat vom alten, frommen Schlage; jenem Schlage, der uns während des Aufstandes rettete,« fuhr Brown fort. »Er war stets mehr für die Pflicht als für das Wagnis; und bei all seinem persönlichen Mute war er entschieden ein vorsichtiger Befehlshaber, jeder nutzlosen Verschwendung von Soldatenleben ganz besonders abhold. Und doch unternahm er in dieser letzten Schlacht etwas, was ein Kind als ungeheuerlich erkannt haben würde. Man braucht nicht Stratege zu sein, um einzusehen, daß das unberechenbar war wie der Wind, ebenso wie man kein Stratege zu sein braucht, um einem Motoromnibus auszuweichen. Nun, das erste Geheimnis ist: was war mit dem Kopfe des englischen Generals vor sich gegangen? Das zweite Rätsel ist: was war mit dem Herzen des brasilianischen Generals vor sich gegangen? Olivier mag als Präsident ein Phantast oder ein Schädling genannt werden, aber selbst seine Feinde gaben zu, daß er hochherzig bis zum Grade eines fahrenden Ritters war. Nahezu jeder andere von all den Gefangenen, die er je gemacht, war freigelassen oder sogar mit Wohltaten überhäuft worden. Solche, die ihm wirklich Unrecht zugefügt hatten, gingen gerührt von seiner Einfalt und Milde hinweg. Weshalb also sollte er in so teuflischer Weise ein einzigesmal in seinem Leben Rache nehmen und noch dazu für den einen besonderen Schlag, der ihn gar nicht verletzt haben konnte? Da haben Sie es also. Einer der klügsten Menschen der Welt handelte wie ein Idiot ohne jeglichen Grund. Und einer der besten Menschen der Welt handelte wie ein Schurke ohne jeglichen Grund. Das ist der langen Rede kurzer Sinn; alles weitere überlasse ich Ihnen, junger Mann.«
    »Nein, das tun Sie nicht,« lehnte jener schnaubend ab. »Ich überlasse es Ihnen und Sie werden mir hübsch die ganze Geschichte erzählen.«
    »Nun,« fuhr Father Brown fort, »es ist nicht recht von mir, zu sagen, daß der öffentliche Eindruck eben der ist, wie ich ihn dargestellt habe, ohne hinzuzufügen, daß zwei Dinge seitdem geschehen sind. Ich kann nicht sagen, daß sie neues Licht verbreiteten, denn niemand kann aus ihnen klug werden. Aber sie verbreiteten eine neue Art von Dunkel; sie verbreiteten die Finsternis nach neuen Richtungen hin. Das erste war dies. Der Hausarzt der St. Clares überwarf sich mit der Familie und begann eine Reihe scharfer Artikel zu veröffentlichen, worin er sagte, der verstorbene General litt an religiösem Wahnsinn; aber soviel man daraus erfuhr, schien das nur wenig mehr zu besagen, als daß er eben ein religiöser Mann war. Jedenfalls war das Geschwätz bald eingeschlafen. Jedermann wußte natürlich, daß St. Clare einige der Überspanntheiten puritanischer Frömmigkeit an sich hatte. Der zweite Vorfall machte weit mehr Aufsehen. Bei dem unglücklichen und

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