Prime Time
Mikrofonen, Dutzende gelber Schildchen, VTR 08, VTR 07, sie wurde immer verwirrter.
»Du meine Güte«, sagte sie, »da gibt es ja viel zu bedenken.«
»Das kann man wohl sagen«, sagte Gunnar Antonsson, drehte ihr den Rücken zu und ging in den eigentlichen Produktionsbereich.
Der Flur mündete in einen Regieraum, wie sie ihn schon in Annes Sender gesehen hatte. Eine ganze Wand war mit Monitoren bedeckt, auf denen die Bilder der verschiedenen Kameras zu sehen waren, Lämpchen, Regler, Mikrofone und ein großer Bildschirm, auf dem die ausgehenden Bilder gezeigt wurden. Die Wände waren mit blauem und grauem Stoff überzogen, auf Tischen und Fußböden lag graues Laminat, das Holz war sanft geformt und in einer Farbe gehalten, die an Kirsche erinnerte. Sie folgte der Maserung mit dem Finger.
»Sie lag zwischen dem Regiepult und dem Slomo.«
Annika zog die Hand zurück und folgte dem Blick des Mannes auf den Boden. Sie waren in dem engen Raum zwischen dem hinteren und dem vorderen Produktionspult stehen geblieben, direkt vor dem Platz des Sendeleiters.
Genau an der Stelle war eine Klappe im Boden, glänzende Handgriffe und Leisten.
»Dem Regiepult und … was?«
Der Mann richtete sich auf und stützte die Hand auf den hinteren Tisch.
»Hier sitzt der Typ, der beim Hockey die Zeitlupenanlage steuert, die Slow-Motion, deshalb nennen wir ihn nur Slomo.
Den vorderen Teil nennen wir die Regie, da sitzen sie ja alle, der Video-Switcher, der Sendeleiter, die Scriptleute, der Grafiker.«
»Und in welche Richtung hat sie gelegen?«
Gunnar Antonsson faltete die Hände vor dem Unterleib und wippte ein wenig vor und zurück.
»Mit dem Kopf zur Wand«, sagte er dann und nickte zur hinteren Stirnwand hin. »Hier die Beine, rechts und links von der Klappe. Die Arme hochgestreckt, so.«
Er hob die Arme wie Gangster im Film, wenn die Polizei kommt.
»Der Kopf, oder was davon noch da war, lag hinten auf der Fußleiste.«
Er ließ die Hände fallen und ging zum Raum ganz hinten im Bus.
»Hier ist der Ton. Das Tonregiepult haben Sie da, dann die Steckkabel, das Tonpult hat sechsundneunzig Kanäle in doppelter Ausführung, die Kapazität ist also doppelt so groß, wie sie jetzt hier sehen können, alles digital.«
Gunnar Antonsson zeigte und erklärte mit dem Detailreichtum eines Menschen, der noch unter Schock steht.
Annika folgte ihm und speicherte ab und zu ein Wort im Gedächtnis ab, Steckkabel, Kanäle, digital.
»Das da sind die Diversityempfänger für die schnurlosen Mikros, das ist die Kommunikationsanlage, mit der der Bus den Kontakt zu den Leuten draußen hält, den Kameraleuten, den Planern und den Reportern …«
Er verstummte. Sie waren in der dunkelsten Ecke des Lastwagens angekommen.
»Ist es schwer?«, fragte sie leise.
Gunnar Antonsson sah zu Boden und strich sich mit der Handfläche übers Haar.
»Ja«, sagte er. »Seltsam. Man fragt sich doch … man fragt sich irgendwie, ob etwas bleibt.«
Er schwieg und sah schnell zu ihr hin.
»Ob es hier drin noch etwas von Michelle gibt, meinen Sie?«, fragte Annika.
»Es ist alles sehr sorgfältig sauber gemacht worden«, beeilte er sich zu sagen und wich zurück.
»Ich glaube, es liegt an Ihnen«, meinte Annika. »Wenn Sie wollen, dass sie bleibt, dann wird sie sicher gern bleiben.
Wenn Sie wollen, dass sie Sie in Ruhe lässt, dann wird sie das auch respektieren.«
»Sie ist immer gern im Bus gewesen«, sagte er. »Sie kann ruhig bleiben.«
Annika lächelte.
»Dann werden Sie auf der Fahrt nach Dänemark Gesellschaft haben. Wann fahren Sie?«
Er seufzte erleichtert.
»Morgen nach dem Essen. Ich habe vor, zur Gedenkfeier zu gehen und mich danach auf den Weg zu machen.«
Er sah auf die Uhr und rieb sich über den Bauch.
»Zeit für eine Kaffeepause«, sagte er. »Wollen Sie mir Gesellschaft leisten?«
Annika lächelte.
Vor dem Zimmer des Ressortleiters zögerte Thomas. Seine Handflächen waren verschwitzt, und der Hemdkragen scheuerte. Er hatte sich im Laufe seiner Jahre beim schwedischen Gemeindetag abgewöhnt, Schlips zu tragen, aber heute hatte er sich wieder einen umgebunden. Er hatte völlig vergessen, wie unbequem das war.
Vor der Tür horchte er leise. Hörte er Stimmen?
Er sah ein, dass er besser nicht länger lauschend dastehen sollte, schließlich konnte jeden Moment jemand vorbeikommen. Er hob die Hand und klopfte resolut an das Birkenfurnier der Tür. Die Aufforderung einzutreten kam streng und erstaunt.
Als Thomas die Tür
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