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Principia

Principia

Titel: Principia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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verrichten. Während der ersten Reisetage hatte er Daniel derart zu ködern versucht, doch alles Angeln war vergeblich gewesen. Seither beschäftigte sich Daniel damit, in seinen Büchern zu lesen, und Mr. Threader, in das seine zu schreiben. Beide Männer waren in einem Alter, in dem man es nicht sonderlich eilig hatte, Freundschaften zu schließen und Vertraulichkeiten auszutauschen. Wie die Erkundung neuer, überseeischer Handelsrouten war das Anknüpfen von Freundschaften ein tollkühnes Unternehmen, das man am besten Jüngeren überließ.
    Dennoch richtete Mr. Threader ab und zu trockene, auf Gesprächseröffnung zielende Bemerkungen an Daniel. Um kein Spielverderber zu sein, tat dieser das Gleiche. Aber keiner von beiden konnte den Gesichtsverlust akzeptieren, der mit Neugier einherging. Daniel brachte es nicht über sich, ganz direkt zu fragen, womit Mr. Threader seinen Lebensunterhalt verdiente, denn er erkannte, dass das für die Leute, die große Häuser auf dem Land unterhielten, vollkommen offensichtlich war und nur ein Idiot oder schmuddeliger Whig es nicht wusste. Mr. Threader seinerseits wollte wissen, in welcher Beziehung Daniel zum Earl of Lostwithiel stand. Er empfand es als ungeheuer seltsam, dass mit einem Mal mitten in Dartmoor ein betagter Naturphilosoph in einem Waschbärfellmantel auftauchte und ein paar Worte krächzte, die jeden Gentleman im Umkreis von zwanzig Meilen veranlassten, andere Geldanlagen aufzulösen und Anteile an jener kommerziellen Irrenanstalt, den Eigentümern der Maschine zur Hebung von Wasser mittels Feuer, zu kaufen.
    Daniel hatte zwei alternative Hypothesen entwickelt: Mr. Threader war ein Wett-Unternehmer, der umherzog und Wetten annahm und beglich. Oder Mr. Threader war ein verkappter Jesuit, der kryptokatholische jakobitische Torys besuchte, um ihnen die Beichte abzunehmen und den Zehnten einzuziehen. Die polierten Holzkästen enthielten dieser Hypothese zufolge Hostien, Kelche und andere papistische Gerätschaften.
    Alle diese Spekulationen fielen binnen weniger Minuten in sich zusammen, als Daniel Blenheim Palace im Bau sah, sich klarmachte, auf wessen Besitz sie sich befanden, sich in seiner Verblüffung vergaß und hervorsprudelte: »Ist er da?«
    »Ist wer genau da, Dr. Waterhouse?«, fragte Mr. Threader taktvoll.
    »Churchill.«
    » Welcher Churchill?«, fragte Mr. Threader verschmitzt, denn es wurden unentwegt neue produziert.
    »Der Herzog von Marlborough.« Dann kam Daniel zur Besinnung. »Nein. Ich bitte um Entschuldigung. Dumme Frage. Er ist in Antwerpen.«
    »Frankfurt.«
    »Er ist kürzlich nach Antwerpen gereist«, insistierte Daniel.
    Dies geschah nur wenige Augenblicke, bevor sich Mr. Threader in eines von Marlboroughs Nebengebäuden begab, um dort zu tun, was auch immer er tat. Unterdessen dachte Daniel darüber nach, wie töricht sein kleiner Ausbruch gewesen war. Derzeit war der Gutsherr ganz offensichtlich nicht anwesend. Männer, die solche Güter besaßen, wohnten nicht auf ihnen, jedenfalls nicht im Januar. Zu dieser Jahreszeit hielten sie sich alle in London auf. Die wichtigsten Bewohner der Landsitze waren nicht Menschen, sondern Schafe, und die wichtigste Tätigkeit war die Umwandlung von Gras in Wolle. Denn exportierte Wolle brachte Ertrag, und der Pachtzins auf den Ertrag ermöglichte es den feinen Leuten, den ganzen Winter über in London Miete zu zahlen, Wein zu kaufen und dem Glücksspiel zu frönen.
    In groben Zügen war das alles völlig klar. Doch Daniel hatte mit zunehmendem Alter größeren Respekt für Details entwickelt. Mr. Threader, vermutete er, war ein Detail.
    Für einen Kaufmann war England eine Perlenschnur von Seehäfen um eine riesengroße, verarmte Einöde. Wie bei einem brennenden Scheit auf einem Kaminrost lag sämtliche Wärme, Farbe und Hitze in der äußeren, rubinroten Kohlenkruste. Das Innere war kalt, feucht, dunkel und tot. Das Meer erfüllte für den Handel Englands den gleichen Zweck, den die Atmosphäre für die Verbrennung eines Scheits erfüllte. Orte, die vom Meer aus nicht erreichbar waren, hatten keinerlei Bedeutung, außer in dem vollkommen untergeordneten Sinne, dass sie das Ganze sozusagen strukturell zusammenhielten.
    Und doch hatte England ein Binnenland. Daniel hatte das völlig vergessen, bis ihn die Schafszähne unmittelbar vor seiner Nase geweckt hatten. Anders als beispielsweise das Innere von Neu-Spanien, das seinen Reichtum in einigen wenigen, dicht konzentrierten Bergwerken produzierte,

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